Kann die kubanische Medizin bei der Behebung der amerikanischen Ungleichheit helfen?
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Fast hundert Amerikaner studieren Medizin an Kubas Latin American School of Medicine (ELAM), wo sie Präventivmedizin lernen, um die Unterversorgten zu behandeln
Erschienen in Medium’s new global health magazine, The Development Set, 14.3.2016
Das Salvador-Allende-Krankenhaus ist eine grüne Oase in Cerro, einem heruntergekommenen Viertel in Havanna, weit entfernt von den Strandpromenadenhotels und Touristenrestaurants in Kubas Hauptstadt. Ursprünglich erbaut im Jahre 1899 für die Versorgung der spanischen Kolonialherren, besteht es aus Kolonnadengebäuden, die mitten in gepflegte Parks gesetzt sind. Dass es wie eine Kunstakademie aussieht, ist nur passend: Salvador Allende ist jetzt ein Lehrkrankenhaus mit 532 Betten und mehr als 5.000 Medizinstudenten, die meisten aus Sub-Sahara-Afrika und Lateinamerika. Einige Studenten sind auch aus den Vereinigten Staaten.
Samantha Moore, eine Studentin im 6. Studienjahr aus Detroit, arbeitet auf der Gerontologiestation, wo sie die Pflege alter Menschen lernt. Kürzlich saßen die Geriatriepatienten plaudernd auf der Veranda des luftigen, taghellen, bunt gekachelten Gebäudes. Moore beugte sich über ihre Patientin Ofelia Favier, die aufgrund ihrer Diabetes ein Bein verloren hat und wegen Dehydrierung eingeliefert wurde. Sie strich mit ihren Händen über den zarten Körper ihrer Patientin, drückte und stupste sie sanft. „Guten Morgen, Mami“, sagte sie auf Spanisch. „Wie fühlen Sie sich? Wie war Ihre Nacht? Tut irgend etwas weh?“ Die 85jährige Favier war nicht in guter Stimmung. „Ich habe nie Schmerzen, mir geht es gut. Ich habe kein Fieber mehr. Ich habe Hunger. Ich wünsche, die Cafeteria würde sich beeilen.“ Moore lachte herzhaft und ging, um sich um das Frühstück zu kümmern, welches aus Reis, Bohnen und Eiern bestand.
„Ich liebe die Patientenpflege“, sagte Moore. In Kuba, so fügte sie hinzu, lernen die Studenten alles über die Bedeutung der Umfeldgestaltung, z. B. wie auf einer Station natürliches Licht, frei strömende Luft und beruhigende Pastellfarben den Patienten bei ihrer Genesung helfen. „Es ist eine erstaunliche Ausbildung; das würde man in den Staaten nie lernen.“ (Frei strömende Luft hat sich besser bewährt als die Klimaanlagen oder Luftzirkulationssysteme, die man häufig in amerikanischen Krankenhäusern sieht, und die erheblich zu den Infektionsraten in Krankenhäusern beitragen.)
Moore ist eine von 93 US-amerikanischen StudentInnen, die an der Latin American School of Medicine, in spanischer Abkürzung ELAM, studieren. In gewisser Weise ist das Kubas Antwort auf Stätten wie Harvards Kennedy School of Government, wo Fachleute aus aller Welt ausgebildet werden. Aber anders als die Kennedy School, welche eher auf das Davos-Set ausgerichtet ist, bildet ELAM die Studenten speziell für die Arbeit in Niedrig-Lohn-Gebieten aus. Fast alle ELAM-Studenten studieren kostenfrei, entweder mit Stipendien der kubanischen oder ihrer heimischen Regierung.
Als Gegenleistung wird von ihnen erwartet, dass sie zurück in ihre Heimatländer gehen und dort in medizinisch unterversorgten Gemeinden arbeiten und die mittelschonende, präventiv ausgerichtete Medizin anwenden, wie sie gemeinhin in Kuba praktiziert wird.
In den USA spezialisiert sich nur ein geringer Teil der Medizin-Hochschul-Absolventen auf Primärversorgung; und die Anzahl derer, die Allgemeinmedizin(Familienmedizin) wählen, ist von 1997 bis 2005 um 50% gesunken, so The New England Journal of Medicine. In den Jahren 2013-14 gingen weniger als 10% der Medizin-Hochschul-Absolventen als Assistenzärzte in die Familienmedizin, so ein Bericht der American Academy of Family Physicians. Der Bericht vermerkte „das Versagen der (nordamerikanischen medizinischen) Schulen in einem Schlüsselbereich der sozialen Verantwortung.“
Die 35jährige Moore sagte, dass sie immer auf eine Medizinfachschule hatte gehen wollen, aber nie das Geld dafür gehabt hatte. Stattdessen machte sie ihren Master in Informatik.
Auf die ELAM stieß sie durch die Pastors for Peace, eine New Yorker Organisation, die mit der Schule zusammenarbeitet, um amerikanische Studenten auszuwählen. Sie wurde durch eine Predigt des Gründungsdirektors der Organisation inspiriert, des verstorbenen Rev. Lucius Walker, der die ELAM als eine Stätte beschrieb, an welcher man zu einem Arzt für die Unterprivilegierten und medizinisch Unterversorgten ausgebildet werden kann.
Moore, die sich jetzt auf ihre Abschlussprüfung vorbereitet, möchte zuhause in Detroit eine Assistenzarztstelle in Innerer Medizin übernehmen. Sie möchte auch Hausbesuche in ihre Arbeit einbeziehen, eine gängige Praxis in Kuba. „Ich sehe nicht ein, warum Menschen, die nicht die Möglichkeit haben, in eine Klinik zu gehen, nicht Zugang zu einem Arzt haben sollten“, sagt sie.
Weltweit besteht ein dringlicher Bedarf an Ärzten. In den Entwicklungsländern fehlen 7 Millionen Ärzte, Krankenschwester und andere medizinische Fachleute – und es steht zu erwarten, dass sich diese Zahl in den nächsten 20 Jahren fast verdoppeln wird. Die WHO warnt, dass die Entwicklungsziele der United Nations, wie die Verringerung der Mutter-Kind-Sterblichkeit, nicht verwirklicht werden können ohne mehr medizinisches Fachpersonal. Auch bei all der derzeitigen finanziellen Förderung der globalen Gesundheit durch Fonds und Stiftungen wird die professionelle Fachausbildung bedenklich unterschätzt. Die Ausgaben für Notfallhilfen sind das eine; dagegen benötigt man ein ganz anderes Engagement für die mehrjährige intensive Ausbildung von Ärzten.
Hilfe aus dem Ausland ist notorisch wechselhaft: vor einigen Jahren war die Parabel „den Menschen das Fischen beibringen“ angesagt. Aber wie so oft blieb die Wirklichkeit hinter der Rhetorik zurück. Heute ist das Ziel der Auslandshilfe zumeist, ein bestimmtes Ergebnis zu erlangen, wie z. B. das Bekämpfen einer Krankheit, die Ausgabe von Lebensmittelnotrationen oder die Folgen von Naturkatastrophen oder Krisen zu mildern.
Das kubanische Modell verfolgt einen grundsätzlich anderen Ansatz: es bringt den Menschen wesentliche Fertigkeiten bei, so dass sie für ihre eigenen Resultate selbst zuständig sein können.
Die ELAM eröffnete im Jahr 1999 im Gefolge des Hurrikan Mitch, der die Karibik und Mittelamerika verwüstet hatte. Der Plan war, die Ärzte, die Kubas Nachbarländern verloren gingen, zu ersetzen. Seitdem hat die Hochschule mehr als 26.000 Ärzte aus 124 Ländern rund um die Welt ausgebildet.
In einem kleinen Laborkurs stammten die 2 Dutzend Studenten aus Tschad, Sierra Leone, Angola, Südafrika, Kongo, Belize und New Jersey. „Wann immer wir etwas über Epidemien lernen, erfahren wir das von Kollegen, die selbst persönlich dabei waren“, sagte Agyeiwa Weathers aus Newark. Saada Ly beispielsweise, ein Student aus Conakry, Guinea, erinnerte sich an die Auswirkung des Mangels an medizinischem Fachpersonal in seinem Land während der Ebolakrise 2015. „Die ganze Welt sah die Defizite im Gesundheitssystem meines Landes“, sagte er.
Die Hochschule bietet 6 Jahre medizinische Ausbildung im Vergleich zu 4 Jahren an US-Amerikanischen Medizinischen Hochschulen. Die Extra-Jahre dienen der Lehre von allgemeiner Gesundheit, Tropenmedizin und Kubas besonderem Schwerpunkt, der Prävention. Die Ärzte lernen Diagnosen zu stellen, indem sie die Arbeits- und Lebensbedingungen ihrer Patienten kennen lernen, mit ihnen interagieren, sie berühren, ihnen zuhören.
2001 kamen die ersten Studenten aus den Vereinigten Staaten zur ELAM, nachdem Mitglieder des „Congressional Black Caucus“ von dem Ausbildungsprogramm gehört hatten und mit Fidel Castro zusammen getroffen waren. Der Abgeordnete Bennie Thompson teilte dem kubanischen Staatspräsidenten mit, dass seine Wähler keinen Zugang zu einer anständigen medizinischen Versorgung hatten. Sofort bot Castro amerikanischen Studenten 500 Plätze an. (Bis heute haben 134 nordamerikanische Studenten ihren Abschluss gemacht und mehr als 50 sind gerade in ihren Assistenzarzt-Programmen.)
In den ELAM-Hörsälen gibt es keine Laptops. Anders als an amerikanischen medizinischen Hochschulen, wo der Großteil der Ausbildung im Seminarraum stattfindet, verbringen die kubanischen Medizinstudenten viel Zeit mit der Patientenbehandlung, üben Maßnahmen wie das Legen von Kathetern, das Richten gebrochener Knochen oder die Entbindung eines Babys.
Diese praxisorientierte Ausbildung ist hilfreich, wenn sie in die USA zurückkehren, sagte Dr. Susan Grossman, die das Programm für Assistenzärzte im Woodhall Medical Center in Brooklyn leitet, das 3 ELAM-Abgänger betreut. Wenn diese ihre Assistenz beginnen, sagte Grossman, haben sie weit mehr klinische Erfahrung als die typischen amerikanischen Hochschulabgänger.
Woodhall, ein öffentliches Krankenhaus, spezialisiert sich auf patientenorientierte allgemeine Versorgung, wofür die ELAM-Abgänger haargenau die Passenden sind. „Jeder dieser drei Assistenzärzte ist sehr patientenfokussiert und verfügt über ausgezeichnete Kommunikationsfähigkeit“, so Grossman. „Ich weiß nicht, ob das an ihrer Ausbildung oder an ihrer Persönlichkeit liegt. Jedenfalls sind sie exzellent klinisch ausgebildet.“
In Kuba lernen die Ärzte, ihre Diagnosen größtenteils auf der Basis ihrer persönlichen Untersuchungen zu erstellen und verbringen, wenn nötig, Stunden mit den Patienten. Blut- und Röntgentests werden zur Bestätigung ihrer Diagnosen eingesetzt. Im Gegensatz dazu stützen sich viele amerikanische Ärzte auf die Tests als Leitfaden für ihre Diagnosen.
„In einigen Ländern ersetzt die Technik inzwischen das medizinische Denken“, sagte Dr. Enrique Beldarraín, ein Epidemiologe und Medizinhistoriker an Kubas National Center for Medical Sciences.
Anfangs war die Förmlichkeit des nordamerikanischen Systems merkwürdig, so Dr. Joaquin Morante, ein ELAM-Abgänger, jetzt in seinem 3. Assistenzjahr in Woodhall. Morante, der in der Bronx aufwuchs und sein Grundstudium in Cornell absolvierte, erinnert sich, wie er von einem behandelnden Arzt gerügt wurde, als er einen Patienten mit „Hallo Kumpel, wie geht’s denn?“ begrüßte. Er verteidigte seinen Ansatz: „Ich spreche zu ihnen als ein New Yorker zu einem New Yorker.“
Morante räumte ein, dass es einige medizinische Probleme gibt, auf welche ihn Kuba nicht vorbereitet hat. Eins ist die in amerikanischen Krankenhäusern weit verbreitete Antibiotikaresistenz. Und – anders als in den USA – sind in Kuba Schusswunden extrem selten.
Eine andere amerikanische Alumna, Dr. Keresse Gayle, vollendete kürzlich ihre Assistenzzeit in Newark Beth Israel. Aus medizinischer Sicht, so sagte sie, war der größte Wechsel von Kuba zu den USA, „der von einem Mangel an Optionen zu einem großen Überangebot.“
ELAM-Studenten, so erinnerte sie sich, werden alles andere als verwöhnt. Gayle teilte sich ein Zimmer mit 9 anderen Frauen, verstaute ihre Sachen in einer Truhe und musste sich ein Bad mit 50 Leuten teilen. Die Studenten erhalten wenig Taschengeld und bekommen grundsätzliche Hygieneartikel wie Deodorant, Binden und Zahnpasta zur Verfügung gestellt. „In den USA sind wir an ein gewisses Komfortniveau gewöhnt“, sagte sie. „Hier hat man nicht 24 Stunden am Tag fließendes Wasser, und es gibt manchmal Stromausfälle. Es ist schon ein herausforderndes Land.“
An einem warmen Mittwochnachmittag fand in der ELAM eine improvisierte Lehrveranstaltung statt. Cassandra Cusack Curbelo, eine Studentin im 6. Lehrjahr aus Miami, hielt inne, um mit drei Studenten im 3. Lehrjahr aus Südafrika zu reden, die sich vor der Hitze auf eine Bank im Schatten geflüchtet hatten. Die Südafrikaner, Noluvuyo Dingele, Diago Jalkie and Felicity Bulo fanden es aufregend, mit der viel erfahreneren Studentin zu sprechen.
„Wie fühlst Du Dich jetzt?“ fragte Jalkie.
„Müde,“ antwortete Curbelo.
„Nein, ich meine: als Ärztin“, sagte Jalkie mit Bezug auf die Tatsache, dass die ELAM-Studenten ab ihrem 3. Lehrjahr viel Zeit mit praktischer Patientenbehandlung verbringen.
„Wie fühlst Du Dich?“
„Müde,“ antwortete Curbelo und lächelte. Sie war zur ELAM mit einer Mischung aus Idealismus und Abenteuerlust gekommen. Sie und ihre Freunde betrachteten es als ein „Revolutions-Disko-Sommerlager“. Aber ziemlich schnell sah sie sich vor die Pflichten eines Arztlebens gestellt mit Schwerpunkt auf praxisorientierte Ausbildung samt der Wirklichkeit des Lebens in Kuba, welches weit entfernt ist von den gut ausgestatteten medizinischen Hochschulen in den USA .
Sie erzählte den wissbegierigen Studenten von einer ihrer Erfahrungen, als sie selbst im 3. Lehrjahr war und gerade mit ihrer Arbeit an Patienten begann. Sie hatte Nachtdienst, da kam ein Mann schweißgebadet herein, sein Blutdruck fiel ab, er begann zu krampfen und verfiel in einen Schockzustand. Eilig versuchte Curbelo, ihm einen Zugang zu legen, als das Licht ausfiel. Glücklicherweise hatte sie eine Stablampe, die sie sich zwischen die Zähne klemmte, den Tropf anlegte und den Patienten stabilisierte. „Das war meine erste Erfahrung mit der kubanischen Medizin Marke Guerilla-Stil“, schloss sie.
Die Südafrikaner hörten dem Bericht mit geweiteten Augen zu, stellten sich selbst in einer solchen Situation vor. „Ich lege mir eine Stablampe zu“, sagte Bulo fest entschlossen.
Es wird gesagt, dass das Leben der kubanischen Ärzte hart ist, und gewitzelt, dass sie genauso viel verdienen wie die Krankenhauspförtner. (Offensichtlich verdienen sie mehr – seit einer kürzlichen offiziellen Gehaltserhöhung ca. $60 pro Monat.) Aber es hat seine Vorteile, wenn sie in ähnlichen Umständen wie die Patienten leben. Die Ärzte erleben so viele der persönlichen Probleme, der sozialen Belastungen und Umweltfaktoren, welche die Gesundheit des Patienten beeinträchtigen können.
Die Risiken erkennen und die Patienten zu beobachten wird zu einem wichtigen Bestandteil ihres Präventivansatzes.
Hausbesuche gehören für Ärzte in Kuba zum normalen Arbeitsalltag – eine Praxis, die viele Amerikaner nur aus dem Fernsehen kennen. „Für mich ist die Medizin eine Kunst, aber in den USA ist sie nur ein Geschäft“, sagte Katherine Leger, eine Studentin im 5. Lehrjahr aus der Dominikanischen Republik, die am Ithaca College studierte. Sie findet, dass die Medizin in den USA zu unpersönlich, überhastet und profitorientiert ist. „Wenn Du es nicht schaffst, dass der Patient sich wohlfühlt – wie willst Du herausfinden, was ihm wirklich fehlt?“
Vom Beginn ihrer Ausbildung an arbeiten die ELAM-Studenten in Nachbarschaftskliniken oder den consultorios, den Familienarztpraxen. Jede Praxis hat als Belegschaft einen Arzt und eine Krankenschwester, die für höchstens 200 Familien zuständig sind. Der Arzt sieht seine Patienten regelmäßig, um Risikofaktoren zu erkennen wie Rauchen, Alkoholismus und Bluthochdruck. Dann werden Maßnahmen ergriffen, um die Probleme in den Griff zu bekommen, wie die Bildung von Selbsthilfegruppen und Anleitungen zur Veränderung ihres Lebenswandels.
„Wenn wir das in den USA hätten, gäbe es die Missverhältnisse im Gesundheitswesen nicht“, sagte Nikolai Cassanova, ein 27jähriger Student aus Jamaica, der in Brooklyn, NY, aufwuchs. Ihn beeindruckte insbesondere, dass der Arzt die Namen aller Patienten in seinem consultorio kannte.
„Ich möchte gerne mal wissen, wie viele Ärzte in den USA ihre Patienten mit Namen kennen.“
Der Schwerpunkt auf Präventivmedizin scheint sich bezahlt gemacht zu haben. Forscher fanden heraus, dass die 40 Jahre, in welchen Kuba die Primärfürsorge besonders vorantrieb, mit einer 40%iger Abnahme der Kindersterblichkeit* zusammenfiel (selbst bei fast unverändertem BSP), sowie einer wesentlichen Abnahme von Krankenhausbehandlungen bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
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*In Wirklichkeit sank sie von über 60 auf unter 5/1000 Kinder- (Quelle Granma)
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Ein besonderes Schwerpunktgebiet ist in Kuba die Mutterschaftsvorsorge – eine schwangere Frau sieht wenigstens 10 Mal einen Arzt. Im Vergleich dazu hatte in den USA mehr als ein Fünftel der Latino- und afroamerikanischen Frauen Probleme, Mutterschaftsvorsorge zu erhalten, so das US- Department of Health and Human Services.
Vor der kubanischen Revolution war schon der Geburtsvorgang extrem gefährlich, erinnert sich die 81jährige Isolina Martínez Bacallao. Das Patronatssystem der vorrevolutionären Zeit bedeutete, dass die Entscheidung, wer ins Krankenhaus zu gehen hatte und wer nicht, in der Hand des örtlichen Bürgermeisters lag, sagt sie. Oft starben Frauen während der Geburt, weil sie keinen Arzt konsultieren konnten. „Der Unterschied ist nun wie Tag und Nacht“, sagt Martínez. „Die Ärzte laufen nun den schwangeren Frauen hinterher, um sich um sie zu kümmern.“
Der heutige Schwerpunkt Kubas auf Primärmedizin rührt von der Überzeugung her, dass es besser ist Krankheiten zu verhindern als zu heilen, sagte Dr. Angeline Cedré Cabrera, eine Professorin bei ELAM, Spezialistin für Mutter-und-Kind-Gesundheit.
Zusätzlich zur normalen biomedizinischen Ausbildung, die sie als Ärzte erhalten, werden den Studenten Werte der Humanität, Solidarität und Ethik vermittelt. „Hier lernen die Studenten, sowohl Ärzte der Wissenschaft als auch Ärzte des Gewissens zu sein“, sagt sie.
Wie der kubanische medizinische Ansatz rund um die Welt umgesetzt werden kann, bleibt abzuwarten. In den letzten Jahren sind Tausende Südafrikaner zu ELAM gekommen, um den großen Ärztemangel in ihrem Land bekämpfen zu helfen. Für Südafrika ist der kubanische Schwerpunkt auf Prävention eine große Veränderung, sagte Jalkie, Student im 3. Lehrjahr. „In Südafrika scheinen wir darauf zu warten, dass die Leute krank werden, um dann zu versuchen, ihnen zu helfen.“
Sicherlich hat das kubanische Ausbildungssystem ernsthafte Grenzen. Diejenigen, die im Ausland kubanische medizinische Hilfe erhalten, klagen manchmal, dass die Ärzte nicht über die Fertigkeiten verfügen, richtig schwerkranke Patienten zu behandeln und dass sie nicht immer auf der Höhe der neuesten Technik und medikamentösen Behandlungsmöglichkeiten sind.
Und natürlich ist die Gesundheitspolitik in Kuba äußerst heikel. Die kubanische Regierung bleibt ein autoritäres Regime; die Büros der öffentlichen Behörden sind mit Fotos von Fidel und Raul und manchmal Hugo Chavez geschmückt; und ihre Sprüche sind auffällig auf öffentlichen Gebäuden zur Schau gestellt. Und trotz ihres viel beworbenen Gesundheitssystems macht das kubanische Gesundheitsministerium Reportern und akademischen Forschern den Zugang schwer.
Aber das kubanische System hat der Welt gezeigt, wie eine Bevölkerung auch bei kleinem Budget gesünder werden kann, selbst wenn sie nicht die Mittel haben, mit fortgeschrittenen oder dramatischen Erkrankungen fertig zu werden, sagte Dr. Daniel Palazuelos, ein Harvard Medical School Dozent, der in Haiti und Mexiko mit kubanischen Ärzten zusammen gearbeitet hat. „Sie sind wie richtig gute amerikanische Hausärzte – sie haben für 95% der Probleme der Bevölkerung eine absolut passende Antwort.“
Auf der bemerkenswerterweise nicht deprimierenden Gerontologiestation des Salvador-Allende-Krankenhauses sitzt Ofelias Sohn Julián an der Tür ihres Zimmers. Er hat dort 24 Stunden gesessen, und wechselt sich mit seiner Tochter und seinem Bruder ab.
Das ist so üblich bei allen Patienten: ein Familienmitglied oder ein anderer Betreuer ist stets zugegen.
„Ich bin hier, um ihr zu helfen, wenn sie aus dem Bett steigen, zum Bad gehen, ein paar Schritte tun will“, sagte Julián. „Sie ist meine Wurzel, also kümmere ich mich um sie.“
Samantha Moore freut sich darauf, die Lehren und Erfahrungen, die sie in Kuba gemacht hat, zuhause in Detroit anwenden zu können. „Es ist ein tolles Gefühl, die Straße lang zu gehen und jemanden sagen zu hören „Hallo, Frau Doktor, wie geht’s Ihnen?’“
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Sam Loewenberg und Allison Shelley berichteten aus Kuba im Rahmen eines Stipendiums des International Reporting Project (IRP). Allison Shelley ist Dokumentarfotografin mit Schwerpunkt Frauengesundheit und Frauenrechtsprechung sowie Vertreibungsprobleme. Ihre Webseite ist www.allisonshelley.com.
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Übersetzung: Gudrun Pluta, Bochum