GESCHICHTE
Irgendwo im Nordosten der Insel, nahe Baracoa oder Gibara, ging
Christopher Columbus an jenem denkwürdigen Sonntag des Jahres 1492,
genau am 28.10.1492 an Land, wenige Monate nach der Reconquista, der
Wiedereroberung des Mutterlandes und der endgültigen Auslöschung des
einst so mächtigen moslemischen Kalifats von Cordoba. Das Zipangu
(Japan) Marco Polos war sein Ziel, jene Insel des Goldes, der Perlen,
der Gewürze am äußersten Rande des Indischen Ozeanes. Mit der fixen
Idee, den Osten im Westen zu suchen, hoffte Columbus zu Entdeckerruhm
und Reichtum zu kommen. Da die Türken mit der Eroberung Konstantinopels
1453 den Landweg nach Osten abgeschnitten hatten, bestanden zudem noch
ganz handfeste wirtschaftliche Gründe, einen neuen Zugang zu den
Schätzen des Ostens zu suchen. Columbus war so entzückt von Cuba, dass
er in sein Bordbuch schrieb:"Es ist das herrlichste Land, das
Menschenaugen je erblickt haben". Aber das sollte sich bald ändern.-
Die aus Mittel- und Südamerika vor ca. 4000 Jahren eingewanderte
Urbevölkerung, die Guanajatabeyes (nur Jäger und Sammler), die Siboneys,
Aruacos, Arawacos und die höher entwickelten Tainos aus Brasilien
(Handwerker, Häuserbau -bohios-, Ackerbau - Kartoffel, Mais, Maniok,
Baumwolle, Tabak...), waren friedfertige Völker mit einer hohen
Präferenz für ein soziales Miteinander (Gemeindeeigentum,
Gemeinschaftsarbeit....).
Lebten von dieser Urbevölkerung 1492 ca. 300.000, nach anderen
Quellen 500.000 Menschen, gelang es den Spaniern, in 60 Jahren die
Indios nahezu auszurotten. Und mit ihnen, bis auf wenige Überreste, ihre
Kultur und ihre Wirtschaftsform, die besser im Einklang mit der Natur
stand als alles, was ihnen nachfolgen sollte. Nach der Ausplünderung der
Nachbarinsel Hispanola und der Vernichtung der dortigen Bevölkerung
durch Zwangsarbeit, Sklaverei und unmenschliche Behandlung, zog die
Konquistadorenkarawane1511 weiter nach Cuba. Da sich die Gräueltaten der
Spanier inzwischen auch bei den cubanischen Indios herumgesprochen
hatten, traf die spanische Expedition nicht auf die gewohnt lammfrommen,
gefügigen Menschen, sondern es gab heftigen Widerstand, der aber wegen
der weit überlegenen Waffentechnik schnell gebrochen werden konnte. Auch
der Kazike Hatuey, eine herausragende Figur des indianischen
Widerstandes, wurde gefangen genommen und sollte auf dem Scheiterhaufen
bei lebendigem Leib verbrannt werden. Bis es soweit war, betete ein
Franziskanermönch dem verstörten Hatuey ganze Litaneien über die
unendliche Nächstenliebe und Güte des Christentums herunter und
beschwor ihn inständig, sich zum rechten Glauben zu bekennen. Nur
so würde ihm das Himmelreich offenstehen. Anderenfalls sei er dazu
verdammt, auf ewig die Qualen der Hölle zu erdulden. "Der Kazike dachte
hierüber ein wenig nach und fragte dann den Geistlichen, ob denn auch
die spanischen Christen in den Himmel kämen. Allerdings, sagte der
Geistliche, kommen alle guten Christen in den Himmel, auch die Spanier!
Sogleich und ohne weiteres Bedenken erwiderte der Kazike, dort wolle er
nicht hin, sondern lieber in die Hölle, damit er nur dermaßen grausame
Menschen nicht mehr sähe". Hatuey, der erste Guerrilla und der erste
Märtyrer der cubanischen Kolonialgeschichte. Wen wundert es, dass man
heute in Cuba auf Schritt und Tritt an diesen heroischen
Indianerhäuptling erinnert wird, ist doch das beste und beliebteste
cubanische Bier nach ihm benannt. Die barbarische Behandlung der
Indianer, ihre Versklavung und letztlich ihre Ausrottung war den
spanischen Glücksrittern ausdrücklich vom spanischen König
Ferdinand untersagt worden. Pfleglich sollten sie mit den Indianern
umgehen. Verboten war es auch nach römischen Recht, Christen zu
versklaven. Und da die Indianer sich schon sehr früh von den
gottähnlichen Eindringlingen hatten bekehren lassen, hätten sie auch
nach den damals geltenden Gesetzen und Geboten wie gleichwertige
Menschen behandelt werden müssen. Die Wirklichkeit unter dem Etikett des
repatrimiento und derecomienda (Verteilung und Schutz) sah allerdings
ganz anders aus. Die indianischen "Arbeitskräfte" wurden wie Tiere
gehalten, mussten unterernährt bis zum Umfallen v.a. in den Minen
arbeiten. Die Mehrzahl der Indianer starb unter dem Joch der
Zwangsarbeit, andere wurden von den Spaniern in unsäglichen Gräueln
ermordet. So führten die Spanier bei ihren Expeditionen ins cubanische
Festland häufig Scharen von Indianern mit sich, die sie unterwegs ihren
Bluthunden zum Fraß überließen. Die Bewohner ganzer Dörfer wurden mit
Mann und Maus ausgerottet. So auch die 3000 Bewohner der Siedlung
Caonao, die den Spaniern als Willkommensgruß Lebensmittel und andere
Geschenke überreichten und zum Dank in einem wahren Blutrausch
abgeschlachtet wurden. Was die Spanier nicht schafften, führten
eingeschleppte Krankheiten wie Blattern, Masern, Scharlach und die
Pocken zu Ende. Die letzten Indianer, die nicht mehr mit den Christen
auf der Erde zusammenleben und ihnen schon gar nicht in ihrem Himmel
begegnen wollten, hängten sich aus Verzweiflung auf. Oder sie
vergifteten sich in Gruppen mit dem Saft der Yuccawurzel. Viele Eltern
erwürgten ihre Kinder.
Wie der Rauch, so der Felix Varela, ein cubanischer Historiker,
verschwand die alte Rasse der Indianer.
Wen wundert es,
dass 1992 , 500 Jahre nach Entdeckung Amerikas durch Columbus, bei
vielen Lateinamerikaner in vielen Ländern hinsichtlich der Feiern dieses
besonderen Jahrestages gar keine rechte Freude aufkommen wollte. Denn
Cuba war nur eine Episode des langen menschenverachtenden, blutigen
Marsches der spanischen Eroberer durch den mittel- und südamerikanischen
Kontinent.
1550 lebten nur noch schätzungsweise 1000 Spanier und
kaum mehr Indianer auf Cuba. Langsam dämmerte es den Spaniern , dass
Cuba nicht das ersehnte Goldland war. Auch aus Arbeitskräftemangel ging
man vermehrt zur arbeitssparenden Weidewirtschaft über, die bis ins18.Jh
bestimmend blieb. Die Jagd nach dem Gold und anderen Schätzen ging
weiter - allerdings in Mexico und Südamerika.
Schon seit
den 30er Jahren des 16.Jh. suchten Seeräuber. die durchweg an den Küsten
liegenden Siedlungen heim, brannten und plünderten und zwangen zu
Neugründungen weiter landeinwärts. Wegen dieser Piratengefahr und der
Bedrohung durch die europäischen Feinde Spaniens beschloss Philipp II.,
La Habana und andere Schlüsselstädte der amerikanischen Kolonien stärker
zu befestigen. Wegen der Unsicherheit der Meere wählte man La Habana zum
Sammelpunkt für die Schiffe aus den verschiedenen amerikanischen
Kolonien. Von hier aus trat dann die flota, die berühmte Silberflotte,
unter dem Schutz einer gut ausgerüsteten Armada die Rückreise nach
Sevilla, Spanien an. Die Silberflotte gab dem Handel in und um Habana
den ersten Auftrieb. Farmer lieferten Fleisch, das Salz zu seiner
Konservierung kam aus den Salinen am Meer, mit den guten cubanischen
Hölzern wurden Schiffsreparaturen und auch Neubauten durchgeführt. Wenn
die Flotte im Hafen lag, machten Kneipen, Spielhöllen und Herbergen gute
Geschäfte. Die Waren aus Übersee waren extrem teuer, aber von
wohlhabenden Siedlern heiß begehrt. Wenn die Flotte den Hafen von La
Habana verließ, fielen Stadt und Insel zurück in einen tropischen
Dämmerschlaf.
Im Vergleich zu den anderen südamerikanischen
Kolonien spielte Cuba bis zur zweiten Hälfte des 18.Jh.
wirtschaftlich eine bescheidene Rolle. Allein der geostrategische
Aspekt hielt das Interesse der Spanier an Cuba wach. 1620 wohnten auf
der Insel lediglich 7000 Spanier und Kreolen, wie die in der Neuen
Welt geborenen Nachfahren genannt werden.
In den
ersten Jahren des 18.Jh. begann die spanische Krone mit einer
Monopolisierung ohnegleichen. Cuba wurde ausgepresst wie eine Zitrone.
Die cubanische Wirtschaft drohte zu ersticken. Es kam zur Rebellion der
besonders hart betroffenen Tabakbauern, der vegueros. Diese Bauern
waren kleine freie Grundbesitzer, die in der Folgezeit in den ersten
Reihen der Freiheitskämpfer standen. Erst Verstärkungstruppen aus dem
Mutterland besiegten die vegueros. Viele von ihnen wurden erschossen
oder entlang der Straße nach Santiago de las Vergas zur Abschreckung
aufgehängt. Madrid sah den Volkszorn und beteiligte nun auch wohlhabende
cubanische Kaufleute an der Monopolverwaltung. Die Monopolisten wurden
schnell reich. Die neue kapitalkräftige Schicht von Kaufleuten wurde zum
Kern einer sich langsam herausbildenden Zuckeraristokratie. Allmählich
begann der Zucker den Tabak als Hauptexportgut abzulösen. Die großen
Viehhaciendas wurden langsam durch Zuckerrohrfelder zurückgedrängt.
Geschickt und zum richtigen Zeitpunkt erließ der spanische König Carlos
II. Reformen, so dass den in Lateinamerika sich ausbreitenden Gedanken
der Französischen Revolution die Sprengkraft genommen werden konnte. Als
sich Spaniens Kolonien Anfang des 19.Jh. in Südamerika vom Mutterland
lösten, ein Prozess, der für ewig mit dem Namen Simon Bolivar verbunden
sein wird, kämpfte in Cuba nur eine kleine Gruppe von Intellektuellen
auf verlorenem Posten.
Die florierende Zuckerwirtschaft des
19.Jh. schaffte gigantische Reichtümer aber auch das große Elend der
importierten Sklavenheere, die den steigenden Arbeitskräftebedarf decken
mussten.
Neben der Sklavenarbeit trugen 3 weitere Faktoren zum
Aufschwung in der Zuckerwirtschaft bei: der noch jungfräuliche und
äußerst fruchtbare Boden, die Anwendung neuester Techniken und die
Eisenbahn. Der neue Reichtum der Pflanzer äußerte sich in prächtigen
Palästen und Theatern.
Die florierende Wirtschaft schaffte aber auch
ein wachsendes Selbst-und Nationalbewusstsein.
Pressefreiheit, Trennung von ziviler und militärischer Verwaltung und
die Repräsentation in den spanischen Cortes, dem Ständeparlament, waren
die Forderung der cubanischen Wirtschaftsbosse und anderer liberaler
Geister. Nicht auf dem Forderungskatalog: die Abschaffung der
Sklaverei,da man ähnliche blutige Unruhen wie in Haiti fürchtete mit der
Vernichtung der Weißen, zumindest ein Ende ihrer Vorherrschaft.
Zählte man 1760 noch rund 30.000 Negersklaven auf der Insel , schufteten
30 Jahre später die zehnfache Anzahl für die Zuckerbarone. Stellenweise
gab es mehr Schwarze als Weiße auf der Insel. Die Sklaven wurden auf den
Schiffen wie Vieh transportiert: auf engstem Raum zusammengepfercht in
Unrat und Gestank. Notdürftig gemästet standen die Überlebenden in
Habana zum Verkauf wie auf dem Pferdemarkt. Die Muskeln wurden
abgetastet, die Zähne in Augenschein genommen, alles von Kopf bis Fuß
gemustert. Auch die Negerkinder, die criollitos, wurden wie Ferkel auf
dem Markt verkauft. Die stolzen Besitzer brannten den Neuerwerbungen
ihren Stempel auf. Die Arbeits- und Wohnbedingungen auf den Plantagen
waren katastrophal, eine neue Leidensperiode begann. Ein schwarzer
Neuankömmling lebte bei der harten Arbeit höchstens 10 Jahre.
Neuanschaffung war billiger als Pflege.
Um zu verhindern, dass
die Sklaven zu solidarischem Widerstand fanden, mischte man immer
Menschen verschiedener Stammesherkunft, Sprache und Religion, also
Lucumi mit Carabali, Congo, Ganga, Bibi, Mozambiques und anderen. Der
unerbittliche Rhythmus der Zwangsarbeit, die kulturelle Isolation
begann bei vielen das Gedächtnis auszulöschen, die Erinnerung an
die afrikanische Vergangenheit drohte unrettbar in dunkle Tiefen
zu versinken. Jedoch waren gewisse Konzessionen an die
Überlebensfähigkeit des Wertgutes "Sklave" unvermeidbar und so
ließ man ihnen als soziales und psychisches Ventil ihre
Gesänge, ihre Tänze und ihre Riten. Die Sklaven versahen ihre
Götter, Riten und Feste mit christlichen Insignien, vielleicht aus
einer intuitiven Nähe zum Pomp und zur Farbenpracht der
Katholischen Kirche, v.a. aber um den Anschein einer kompletten
Anpassung an den katholischen Glauben zu erwecken. So entstand der
Synkretismus, der bis heute in den cubanischen Alltag nachwirkt. Aus
Afrika brachten die Sklaven ihre Götter, die Orishas, mit nach Cuba.
Bald nahmen diese Götter die Konturen und Eigenschaften der
christlichen Heiligen an, verschmolzen mit ihnen zu religiösen Zwittern,
an die sich ähnliche Hoffnungen knüpften, die aber auch zwiespältige
Verehrung genossen. So wurde z.b. Chango mit der Heiligen Barbara, Ochun
mit der Virgin de Cobre, Vemaya mit der Jungfrau von Regla, Ogun mit dem
Heiligen Petrus und Babalu Aye mit dem Heiligen Lazarus identifiziert.
Diese Mischung aus Katholizismus und der Religion der Yoruba brachte
hervor, was heute als Santeria bezeichnet wird, eine Mischung aus
Zauber, Heiligenverehrung, religiöser Exstase und Aberglauben, die
Lebensphilosophie v.a. der schwarzen aber auch einer zunehmenden
Anzahl weißer Cubaner.
Was mit einem unverkennbaren
Nationalstolz als Cubanidad bezeichnet wird, hätte kaum entstehen
können, wären die Weißen in einer hispanoamerikanischen Arroganz den
Schwarzen gegenüber verharrt. Anstatt sich abzuschotten, sahen sie in
der afrikanischen Kultur mehr als nur exotische Folklore. Indem sie sich
diesen Einflüssen öffneten, förderten sie nicht zuletzt dadurch, dass
sie sich mit der schwarzen Bevölkerung vermischten, den Prozess der
kulturellen Durchdringung. Der wechselseitige Einfluss zwischen Schwarz
und Weiß zeitigte in einem langen, vielleicht einmaligen Prozess der
Transculturacion jene Cubanidad, jenen spezifisch cubanischen
Nationalstolz. Allerdings beschränkte sich die Cubanidad nicht auf
dieses ethnisch-kulturelle Amalgam. Hinzu kamen als weitere wichtige
Komponenten das insuläre Nationalgefühl, die zunehmenden Schwächeanfälle
der Kolonialmacht Spanien, die erfolgreichen Freiheitskriege in
Südamerika gegen das spanische Mutterland vor dem Hintergrund der
Freiheitsideale der französischen Revolution. Und als Spanien die
Schraube der Repression und Entmündigung im Laufe des 19.Jahrhunderts
unerträglich weiter anzog, regte sich auf Cuba an allen Ecken, in allen
Schichten Widerstand, der in 2 Befreiungskriegen von 1868-1878 und von
1895-1898 gipfelte. Auch die breite Unterstützung, auf die Fidel Castro
mit seiner Guerrilla schließlich zurückgreifen konnte, findet ihre
Erklärung in der Cubanidad und in der Ablehnung der amerikanischen
Einmischung und Bevormundung und dem empfundenen Verlust von Würde
und Stolz angesichts des arroganten Verhaltens des übermächtigen
Nachbarn im Norden.
Cubanidad 1996: das ist nach wie vor der
Stolz auf die afrocubanische Kultur , das Gefühl mit der politischen
Philosophie und dem nationalen Selbstbewusstsein eines Jose Marti einen
spezifischen Beitrag zur lateinamerikanischen Identität geleistet zu
haben, und schließlich das Selbstbewusstsein, aus eigener Kraft gegen
viele Widerstände einen eigenen kubanischen Entwicklungsweg
eingeschlagen zu haben, der den Analfabetismus besiegt, auf
medizinischem, sozialem und pädagogischem Bereich Großes geleistet, der
Insel die Unabhängigkeit bewahrt und eine neue Kolonialisierung
vermieden hat. Und sie haben mit dem Versuch, die revolutionäre
Ideologie eines Che Guevara umzusetzen, den Neuen Menschen zu
erschaffen, der über materielle Interessen erhaben ist, das Gemeinwohl
stets über das Eigenwohl stellt, einen Stück vom Himmel kurz in der Hand
gehalten, erfüllt von dieser fast schon religiösen Vision. Und viele
Cubaner träumen noch heute diesen Traum, natürlich mit mehr Realismus,
aber er ist bei vielen noch zu spüren - trotz aller Mängel, aller
Bitternis und Verzweiflung über den Gang mancher Dinge. Und manche
stumpfen Augen gewinnen wieder neuen Glanz, wenn ein guitarista das Lied
vom Comandante anstimmt. Hasta siempre, ein Treueschwur, auf immer und
ewig.