Bildung für alle in Kuba
von Gisela Rudnick 01/ 2021
Bildung ist in Kuba ein gesetzlich garantiertes Menschenrecht. Vom Kindergarten bis zur Promotion ist daher die Nutzung der Bildungseinrichtungen bis heute kostenlos. Mit knapp 13 % des BIP investiert Kuba so viel in Bildung wie kein anderes Land weltweit.[i]
Zum Vergleich: Deutschland investierte 2020 laut OECD lediglich 4,2 % des BIP in die Bildung. Kuba ist das einzige Land Lateinamerikas und der Karibik, das alle sechs Ziele des UNESCO-Programms „Education for all“ erreicht hat. Es hat z.B. eine Einschulungsquote von 100% und eine Alphabetisierungsquote von 99,8 % [ii].
Wie die meisten Länder Lateinamerikas, war Kuba vor 1959 ein Land, das durch einen Jahrhunderte andauernden spanischen Kolonialismus geprägt war. Im Kubakrieg von 1898 verlor Spanien seine letzten Kolonien, aber Kuba wurde nicht frei, sondern de facto US-Kolonie. Durch das erzwungene Platt Amendment sicherten sich die USA 1901 das ständige Interventionsrecht, dessen sichtbarer Ausdruck bis heute die Militärbasis Guantánamo ist, die Kuba bisher vergeblich zurückforderte. Unter den Diktaturen von Machado (1924 bis 1933) und Batista (1933-1959) wurde mit US-Rückendeckung jede demokratische Regung im Keim erstickt. Ausdruck der Unterentwicklung waren Korruption, Arbeitslosigkeit, Elend, Unterernährung, Krankheit und Unwissenheit der Massen.
Es existierte eine durchaus gute Bildung in meist privaten und kirchlichen Schulen, die auf lange, eigene pädagogische Traditionen zurückgreifen konnten, aber meist einer weißen Oberschicht vorbehalten waren. In den 50ger Jahren gab es einen durchschnittlichen Bildungsgrad der Bevölkerung über 10 Jahre unterhalb des Niveaus der 3. Klasse. Es gab 23,6 % Analphabeten, wobei die Quote auf dem Lande deutlich höher lag (z. B. 35,3% in der Provinz Oriente). [iii]
1. Die Alphabetisierungskampagne (1961)
Schon während des Befreiungskampfes von 1956 bis 1959 hatten die Guerrilleros mit der Alphabetisierung der Landbevölkerung in der Sierra Maestra begonnen. Doch noch immer konnten etwa eine Million Menschen weder lesen noch schreiben. Nach dem Sieg der Revolution erklärte Fidel Castro das Jahr 1961 zum „Jahr der Bildung“. An der Kampagne gegen den Analphabetismus nahmen 274.084 freiwillige Lehrer aus den unterschiedlichsten beruflichen Bereichen teil. In den Städten unterrichteten 121.000 Angestellte, Arbeiter, Hausfrauen z.B. in den Pausen und nach der Arbeit.
Den Kern bildeten jedoch voller Begeisterung fast 106.000 Schüler und Schülerinnen, darunter 52% Mädchen, meist zwischen 10 und 16 Jahre alt. Nach zweiwöchiger Ausbildung gingen sie auch in schwer zugängliche Bergregionen, lebten bis zu acht Monaten dort bei den Familien unter einfachsten Bedingungen und arbeiteten mit ihnen auf dem Feld. Erst abends fand mit Hilfe der mitgebrachten Gaslaterne der Unterricht statt. Hinzu kamen etwa 13.000 Arbeiterlehrer, deren Kollegen zu Hause doppelte Schichten fuhren, um die Arbeit der Freiwilligen auch noch zu erledigen. Weiterhin nahmen etwa 35.000 ausgebildete Lehrer an der Kampagne teil und zur Absicherung ihrer Arbeit wurde der Unterricht an allen Schulen für acht Monate unterbrochen. [iv]
Für dieses Engagement wurden bis Ende 1961 21 Alphabetisatoren von Konterrevolutionären ermordet und 47 Schulen in Brand gesteckt. Gegner der Revolution, unterstützt von den USA, ließen nichts unversucht, Fortschritte im Bildungsbereich zu verhindern. Doch trotz US-Blockade und Invasion in der Schweinebucht im selben Jahr wurde die Kampagne nicht unterbrochen.
Die Fibel „Venceremos“ (Wir werden siegen), gedruckt in 1,5 Millionen Exemplaren, bestand aus 15 Lektionen, die kurz und einfach abgefasst waren. Ein Team von kubanischen Lehrern entwickelte eine Methode, die die politische Bewusstseinsbildung in die Alphabetisierung integrierte: Der Mensch sollte sich seiner Lebenssituation bewusst werden, weshalb Schlüsselwörtern mit politischer, sozialer und ökonomischer Bedeutung verwendet wurden, z.B. Fidel, fusil (Gewehr), libre, revolución, cooperativas, democracia, reforma agraria.
Für den brasilianischen Pädagogen und Autor Paulo Freire und seine intellektuellen Mitstreiter des Movimiento de Cultura Popular (MCP) war die kubanische Fibel mit ihren Schlüsselwörtern genau das, wonach sie suchten. Sie wurde zur Grundlage ihrer Fibel „Livro de Leitura de Adultos“, die sie ab 1962 erstmals zur Alphabetisierung in Brasilien einsetzten. [v]
Am 22. 12. 1961 erklärte Fidel Castro die Alphabetisierungskampagne für erfolgreich beendet. In einem UNESCO-Report von 1965 heißt es: …“Das Geheimnis des Erfolgs der Kampagne muss in einem sehr einfachen Umstand gesehen werden, der sehr alt und allen technischen Hilfsmitteln fremd ist: menschliche Beziehungen.“ [vi]
Die Alphabetisierungskampagne war ein großer Erfolg, brachte Stadt und Land näher und verband Menschen für immer. Für Erwachsene wurden nun Einrichtungen geschaffen, die es ihnen ermöglichten, Schulabschlüsse nachzuholen.
69 Kasernen wurden in Schulen umgewandelt, verlassene Villen von Batista-Anhängern als Unterrichtsräume genutzt. Allein von 1959-61 entstanden 671 neue Primarschulen auf dem Lande, 339 in den Städten, 99 Sekundarschulen und 6 technische Schulen. [vii]
2. Das Schulsystem
2.1. Die Vorschulerziehung
Die Vorschulerziehung (Educación Preescolar) bietet die Möglichkeit, dass Kinder bei Bedarf ab dem 45. Tag betreut werden können. Ausgebildete Erzieher arbeiten in den Kindergärten (círculos infantiles), unterstützt von Kinderpflegerinnen, damit immer zwei Erziehungskräfte pro Gruppe anwesend sein können. Das letzte Jahr ist der Vorbereitung auf den Unterricht gewidmet. Da wegen fehlender Räumlichkeiten und Personalmangel nicht genügend Plätze zur Verfügung stehen, gibt es inzwischen auch private Tagesmütter im Rahmen des „Gesetzes zur Arbeit auf eigene Rechnung“[viii].
Eine besondere Institution, die die Unesco als wegweisend für ganz Lateinamerika betrachtet, ist das in den 70er Jahren vom Instituto Central de Ciencias Pedagógicas ursprünglich als Übergangslösung geplante und besonders für den ländlichen Raum entwickelte Programm „Educa a tu hijo“. Es vermittelt Eltern das notwendige Wissen, um ihre Kinder auf die Schule vorzubereiten und unterstützt diese kontinuierlich durch Koordinierungsgruppen bestehend aus Pädagogen, Sozialarbeitern, Familienärzten und u.a. der kubanischen Frauenorganisation FMC.[ix] Inzwischen erfreut es sich großer Beliebtheit auch in den Städten.
2.2. Die 6-jährige Grundschule
Der obligatorische Schulbesuch der ganztägigen Primarschule beginnt mit dem 6. Lebensjahr. Die durchschnittliche Klassenstärke betrug 2016/17 landesweit 17,4; (Stadtschulen 21,3; Landschulen 9,9) und liegt damit unter der deutscher Grundschulen. In Klassen mit mehr als 25 Schülern kommt ein zweiter Lehrer zum Einsatz.[x] Im Regelfall werden ausgebildete Lehrer mit Hochschulstudium von Assistenten (asistentes escolares) mit pädagogischer Fachschulausbildung unterstützt.
Die Lehrpläne sind im gesamten Land einheitlich und hatten während des Lockdowns 2020 den Vorteil, dass neben den Aufgaben der Lehrkräfte für die Schüler, Schulfernsehen an jeweils drei Tagen für die jeweilige Jahrgangsstufe angeboten wurde, bevor der Unterricht durch Halbierung der Klasse, Hygienemaßnahmen und Abstand wieder aufgenommen werden konnte.
Seit dem Schuljahr 2015/16 werden mit 28 Unterrichtsstunden pro Woche à 45 Minuten folgende Fächer erteilt: Mathematik, Spanisch, Informatik, Sachunterricht (El mundo en que vivimos), Sport, educación artística (Kunst, Musik, Tanz und Theater). Ab Klasse 3 wird die Fremdsprache Englisch unterrichtet.
Die Mitarbeit der Eltern wird groß geschrieben. Laut Erziehungsministerium (MINED 2014)[xi] erreichen 98,7% aller Kinder das Klassenziel. Es gibt ein großes Bestreben alle Kinder „mitzunehmen“. Leistungsstärkere unterstützen leistungsschwächere Mitschüler im Unterricht und sie bekommen nach Bedarf zusätzlichen Förderunterricht A. D. I. (Atención a diferencias individuales), der allen Schülern zur Verfügung steht und individuelles Lernen berücksichtigt.
Nach vier Grundschuljahren schließt sich mit einem erweiterten Fächerkanon deren zweiter Zyklus an: Mathematik, Spanisch, die Fremdsprache Englisch, Sport, Educación Artística (s.o.), Bürgerkunde, kubanische Geschichte, kubanische Geographie, Naturwissenschaften und neu: Arbeitslehre.
2.2.1. Arbeitslehre (Educación Laboral)
Das Fach Arbeitslehre wird an nordrheinwestfälischen Gesamtschulen als Fach für Schüler, die kein Abitur anstreben, ab Klasse 7 angeboten, während andere Schüler sich zur gleichen Zeit den Naturwissenschaften oder der zweiten Fremdsprache widmen. In Kuba kennen alle das Fach, das in Schulwerkstätten ab Klasse 5 gelehrt wird und für das man keine Schuluniform trägt. Es werden neben dem Unterricht nach Lehrplan auch produktive Arbeiten aller Art ausgeführt, zunächst in Schulgärten. Später, in der Sekundarstufe I, wird z.B. bei Bedarf Mobiliar repariert, werden Kleidung und Schuluniformen geflickt, genäht, Schulbücher repariert, Maler- und Reinigungsarbeiten durchgeführt. Besuche von Produktionsstätten mit intensiver Vor- und Nachbereitung sind ebenfalls vorgesehen. [xii]
Noch vor einigen Jahren fuhren die meisten Sekundarschüler für 45 Tage aufs Land, wo sie untergebracht wurden, um Tomaten, Kartoffeln oder Kaffee zu ernten. Es war eine harte Aufgabe, so lange und zum ersten Mal fern von zu Hause. Diese Form der Arbeitseinsätze gibt es nicht mehr, doch die Verbindung von Lernen und Arbeit als Grundprinzip ist geblieben.
2.3. Die 3-jährige Sekundarstufe I
Die Sekundarstufe I (Educación Secundaria Básica), Klasse 7-9, besteht aus einer städtischen (ESBU) und einer Landvariante (ESBEC), letztere mit angeschlossenem Internat. Daneben existieren spezialisierte Schulen für besonders Begabte im Bereich Kunst, Musik, Tanz (EVA) und solche für das Fach Sport (EIDE), die außer dem verstärkten Unterricht in den jeweiligen Fächern, den gleichen Fächerkanon wie alle anderen Schulen ausweisen. Ab der Klasse 8 wird Physik, Chemie, Biologie und Geographie unterrichtet.
Am Ende der Sekundarstufe I, nach neun Schuljahren, steht eine Abschlussprüfung, die nach Punkten entscheidet, ob man in die Oberstufe aufgenommen werden kann. Hier trennen sich erstmals die Wege der jungen Kubaner. Doch eine grundsätzliche Durchlässigkeit des Systems ermöglicht auch Menschen, die einen beruflichen Werdegang wählen, mit großem Fleiß später einen akademischen Weg einzuschlagen.
2.3.1. Kunstschulen für Sonderbegabte (Escuelas vocacionales de Arte (EVA))
Abel Morejón Galá, Künstler und Kunstlehrer, der im künstlerisch-pädagogischen Projekt „Farmacia“ in Pinar del Río arbeitet und auch in Deutschland und Kuba mit Schülern und deutschen Kollegen mehrere Wandmalprojekte durchgeführt hat, erläutert den potentiellen Weg eines zukünftigen Künstlers wie folgt:
Kinder interessieren sich bereits zwischen 3 und 7 Jahren für Kunst, was den Eltern nicht entgeht. Sie melden ihre Kinder dann zu Kunstkursen in Kunstwerkstätten an, z.B. samstags (Anmerkung der Autorin: siehe Bericht über die Arbeit des von der HCH unterstützten Projekts „Farmacia“ auf www.hch-ev.de).
Kunstlehrer haben in den Schulen die Aufgabe, Talente zu entdecken. Mit etwa 11 Jahren findet eine Aufnahmeprüfung statt, im Fall von Musik und Tanz schon früher. Ein professionelles Gremium stellt die besondere Begabung fest und befürwortet die Aufnahme. Nach der Sekundarstufe I (Nivel Elemental), kann man nach bestandener Prüfung die Academia (Nivel Medio, 15-19 Jahre) besuchen und nach einer weiteren Prüfung zum Instituto Superior de Arte wechseln, wo man heute den Master ablegt. Künstlerischen Fächern wird in Kuba ein hoher Stellenwert eingeräumt, Kontinuität sichergestellt und besonderer Wert auf die Ausbildung der Kunstlehrer gelegt.
2.3.2. Zusammenarbeit zwischen Schule und Kulturinstitutionen
„Die Schule ist der Mittelpunkt der Gemeinde“, so die stellvertretende Kulturdezernentin der Stadt Banes, Provinz Holguín, Analí Martínez Véliz. Sie hat bereits ein Museum geleitet und war davor Musiklehrerin einer Grundschule. Alle 3-5 Jahre werden Verträge zwischen den Schulen und den einzelnen Kulturinstitutionen der Stadt unterzeichnet, z.B. der Casa de Cultura, Bibliotheken, Kunstgalerien, Museen, die eine enge Zusammenarbeit festlegen.
Es gibt Fortbildungsangebote inhaltlicher und methodischer Art für Kunstlehrer in der Casa de Cultura. Schüler, deren besonderes Interesse in der Schule geweckt wurde, wie z.B. an Chören, Theatergruppen, Tanzgruppen, dem Erlernen eines Instruments, Zeichnen etc., finden in der Casa de Cultura weitergehende Möglichkeiten, die über die Angebote der Schule hinausgehen. Auch professionelle Künstler, Dichter, Schriftsteller bieten Projekte in Schulen an.
Die Bibliothek stellt Literatur in der Schule vor. Auch im Januar 2021 fand eine kleine Buchmesse für Kinder- und Jugendliteratur und abends für Erwachsenenliteratur in der Bibliothek von Banes, Provinz Holguín, statt. Covid-19 erlaubte allerdings diesmal nur einen eingeschränkten Besuch.
Die Unterrichtsbeauftragte des Museo Indocubano Baní in Banes besucht wöchentlich Schulen und erstellt kleine Unterrichtseinheiten. Im 4. Schuljahr, wenn der Lehrplan die Beschäftigung mit der Urbevölkerung der Insel vorsieht, gehen die Schüler so vorbereitet ins Museum.
2.4. Die Oberstufe
Die Oberstufe ( Educación Preuniversitaria) bereitet in drei Jahren auf das Abitur vor. Im letzten Jahr konzentriert man sich intensiv auf die angestrebten Studienfächer. 40-44% eines Jahrgangs wählen diesen Weg, aber nur 7-8 Schüler von 10 bestehen das Abitur nach drei Jahren. [xiii] Kupfer spricht von vorzeitigen Abgängern mit Defiziten in Mathematik, Spanisch und Orthographie [xiv]. Sie wechseln dann in einen der nachfolgend beschriebenen Bildungsgänge.
2.5. Die Berufsausbildung
Eine Berufsausbildung/ Facharbeiterausbildung an technischen Schulen, Fachschulen etc. machen 56 bis 60 % nach der Abschlussprüfung der Klasse 9. Kupfer spricht von ca. 100 Ausbildungsberufen.[xv] Neben der Vorbereitung in schulischen Zentren findet z.B. die 4-jährige Ausbildung zum Técnico Medio in staatlichen Betrieben statt, die als spätere Arbeitsstelle vorgesehen sind. [xvi] Mit diesem Abschluss kann man direkt ein Studium an der Universität in seinem Fachbereich anschließen.[xvii] Qualifizierter Arbeiter mit Diplom kann man frühestens nach zwei Jahren werden, wobei der Terminus des Arbeiters in der marxistischen Theorie Kubas viel weiter gefasst ist als bei uns. Es handelt sich um Ausbildungsberufe. Beides, der Técnico Medio und der Obrero Calificado sind die offiziellen, allgemeinen Berufsabschlüsse Kubas. Der tatsächliche Arbeitsbeginn ist mit frühestens 17 Jahren vorgesehen.
Ähnlich wie in Deutschland gibt es bei den jungen Kubanern die starke Tendenz, höhere akademische Abschlüsse anzustreben. Dies hat zur Folge, dass es in Kuba z.B. schon seit 20 Jahren schwierig ist, in der Landwirtschaft ausgebildete Fachleute zu finden. Dreiviertel aller Betriebe müssen ohne Agronomen auskommen, fast 50% der Kooperativen haben keinen Techniker in Agronomie.[xviii] Man versucht Abhilfe zu schaffen, indem Kinder von Kollektivlandwirten bevorzugt behandelt werden, indem sie besondere Förderungen bei Aufnahme einer landwirtschaftlichen Ausbildung erhalten sollen. Außerdem erhalten Arbeiter, die Zuckerrohr schneiden, ein höheres Gehalt als Ärzte, so meine Erinnerung an den Besuch einer Kooperative Ende 2016.
2.6. Förderschulen
Auch im Bereich der Inklusion ist eine sehr positive Entwicklung zu beobachten.
Es gibt mehr als 400 Förderschulen für Menschen mit besonderen Bedürfnissen, die über sehr gut ausgebildete Teams von Schulärzten, Logopäden, Psychologen und spezialisierten Pädagogen verfügen und bedarfsgerecht ausgestattet sind. [xix] Die Entscheidung über die ständige oder zeitweise Aufnahme in eine solche Einrichtung wird von Diagnosezentren vorbereitet. Chronisch erkrankte Kinder, die nicht regelmäßig oder gar nicht in die Schule gehen können, bekommen zu Hause Einzelunterricht.
Aber der Besuch von Förderschulen wird als eine Übergangsphase angesehen, die Schüler darauf vorbereitet, eine Regelschule zu besuchen. Im Schuljahr 2013/14 lernten bereits 50.000 Förderschüler im Rahmen der Inklusion an allgemeinbildenden Schulen. [xx]
Der UNESCO Weltbildungsbericht von 2020 mit Schwerpunkt Inklusion weist auf vorbildliche Lernmodelle hin, die zeigen, wie inklusiver Unterricht möglich ist. Er spricht von Kompetenzzentren in Kuba, die Schulen beim Unterricht mit Schülern mit besonderen Bedarfen unterstützen. [xxi]
Der Film „Die Kraft der Schwachen“ , 2014, von Tobias Kriele zeigt im Ergebnis deutlich, welche Anstrengungen Kuba und seine Menschen unternommen haben, einen spastisch gelähmten Jungen optimal zu fördern und das mitten in der Sonderperiode.
2.7. Universitäten
Im Jahr 2019 existieren in Kuba 50 Universitäten, 1959 lag die Zahl bei drei. Die beliebtesten Studienfächer sind Medizin (36,4 %), Pädagogik (19,4 %) und technische Wissenschaften (13,5%). [xxii] Voraussetzung zur Aufnahme ist seit 2010 neben dem Abitur eine bestandene Hochschulzugangsprüfung. Für Arbeiter und Arbeiterinnen ohne Abitur gibt es zahlreiche Möglichkeiten über Fern- und Wochenendunterricht die Hochschulzugangsberechtigung zu erlangen. An den Universitäten gibt es dann für sie spezielle Hochschulkurse, teilweise an Arbeiter- und Bauernfakultäten mit besonderen Lehrplänen. Bis zu 45 Tage zusätzlichen Urlaub sichert Kuba den Arbeiterstudenten per Gesetz zu, damit sie Beruf und Studium erfolgreich meistern können. [xxiii]
„Substanz und Grundlagen des kubanisches Hochschulsystems sowie der gesellschaftliche Outreach des Hochschulstudiums sind somit außerordentlich gut, zumal im karibischen und lateinamerikanischen Vergleich…. Kubanische Hochschulen bieten weiterhin eine teilweise hervorragende theoretische Ausbildung“, so der Deutsche Akademische Austauschdienst[xxiv] mit Bezug auf die US-Blockade und die prekäre Wirtschaftslage, die den Ankauf von technischem Gerät nur eingeschränkt ermöglicht.
3. Lehrerbildung und Lehrermangel
Absolventen der Sekundarschule werden in einem vierjährigen Studium an pädagogischen Schulen für den Vorschul- und den Primarschulbereich ausgebildet, der höchste Standard eines lateinamerikanischen Landes. Ein Grundschullehrer kann also mit 19 Jahren seine Tätigkeit aufnehmen.
Sekundar- Berufsschul- und Oberstufenlehrer brauchen die Hochschulreife. Seit dem Schuljahr 2016/17 ist für die Lehramtsstudenten nur noch ein Studienfach und eine 4-jährige Ausbildung vorgesehen. Nach zwei Jahren Universität erfolgt ab dem 3. Jahr der Einsatz an Schulen und parallel dazu der Universitätsbesuch um Theorie und Praxis in Einklang zu bringen.[xxv]
Eine kontinuierliche, verpflichtende Weiterbildung der Lehrer soll die berufliche Kompetenz stärken und einen qualitativ hochwertigen Unterricht sicherstellen.
Problematisch ist nach wie vor der Lehrermangel. Die Auswanderung von Lehrern während der Sonderperiode der 90er Jahre, Frustration wegen der geringen Bezahlung und damit ein vergleichsweise niedriges gesellschaftliches Ansehen, Verhaltensauffälligkeiten von Schülern und auch bauliche Mängel haben dazu beigetragen und führten außerdem zu einer viel zu geringen Anzahl von Lehramtsstudenten. Im Tourismus lässt sich deutlich mehr verdienen.
Nach den Sommerferien 2019 wurde deshalb das Gehalt der Lehrer fast verdoppelt mit dem Ergebnis, dass etwa 5000 Lehrer an die Schulen zurückkehrten. Es gibt jetzt 2% mehr Lehrer und 94% aller Stellen seien besetzt.[xxvi]
4. Kubanischer Internationalismus im Bereich der Bildung
Bis heute sind kubanische Erfahrungen im Bereich der Alphabetisierung und der Erwachsenenbildung gefragt. „Yo sí puedo“ (Ich kann es!) ist ein solches Programm, mit dem mittels Rundfunk und Fernsehen, 17 Videos und 65 Unterrichtsstunden zwischen 2002 und 2020 laut MINED exakt 10.610.611 Menschen in mehr als 30 Ländern alphabetisiert wurden, vorwiegend in Lateinamerika, aber sogar in Kanada und Australien. Die Alphabetisierungsmethode gibt es neben Spanisch in mehreren indigenen Sprachen, Portugiesisch, Englisch, Französisch und selbst in der Blindenschrift Braille. Für die Umsetzung wurde das Pädagogische Institut IPLAC mehrfach durch die UNESCO ausgezeichnet. [xxvii]
Kubanische Lehrer und Bildungsexperten arbeiten seit Jahrzehnten auf der Basis von Verträgen vorwiegend in lateinamerikanischen Ländern. Bereits 1981 waren etwa 8000 Spezialisten in 36 Ländern tätig, davon 4467 kubanische Lehrer in 20 Ländern. Im Jahr 2012 gab es Verträge mit 19 Staaten Lateinamerikas und der Karibik, Afrikas, Ozeaniens und Australiens. [xxviii]
In diesem Zusammenhang besonders hervorzuheben sind die „maestros internacionalistas cubanos“, die Nikaragua nach dem Sieg der Revolution 1979 bei der Planung und Durchführung der Alphabetisierung unterstützt und dabei ihr Leben aufs Spiel gesetzt haben. Vier von ihnen wurden von der Contra ermordet.
Seit dem Jahr 2000 ist die Zusammenarbeit mit Venezuela besonders eng. Kupfer weist darauf hin, dass das Land mit der Hilfe Kubas den Analphabetismus überwunden hat. [xxix]
Seit 1961 ermöglicht Kuba ausländischen Studenten ein Studium in verschiedenen Fachrichtungen. Hervorzuheben ist hier die Medizinische Hochschule in Havanna (ELAM), die seit 1999 aus 123 Ländern 30.000 Medizinstudenten kostenlos ausgebildet, untergebracht und verpflegt hat.
5. Fazit
„Das kubanische Bildungssystem besaß und besitzt seit langem Vorbildcharakter in der Region und darüber hinaus“, so Dr. Ulrike Dorfmüller vom DAAD.[xxx] Sie bezieht sich auf das Alphabetisierungsprojekt „Yo sí puedo“ und den Wunsch vieler, in Kuba studieren zu wollen. Nach einem Bericht der Weltbank Gruppe von 2014 verfügt Kuba als einziges Land in Lateinamerika und der Karibik über ein Bildungssystem, das von international „hoher Qualität“ ist. [xxxi]
In Kuba ist Bildung kein Privileg, wie in manchen Ländern der 1. Welt. Kuba hat auch keine soziale Restschule, wie Deutschland mit seiner noch existierenden Hauptschule. Im Gegenteil, es praktiziert Chancengleichheit und unternimmt große Anstrengungen, die Lehreraus- und Lehrerfortbildung kontinuierlich zu verbessern und damit die Unterrichtsqualität zu steigern.
Der scheidende US-Präsident hat im Januar 2021 die Blockade der USA gegen Kuba und damit die wirtschaftlichen Probleme noch einmal erheblich verschärft. Doch wie Kuba bereits in der Sonderperiode der 90er Jahre bewiesen hat, wird es trotz knapper Ressourcen den Anspruch auf kostenlose Bildung für alle fortsetzen. Bildung ist und bleibt im sozialistischen Kuba eine soziale Errungenschaft und ein Menschenrecht, sowie die Grundlage einer sozialen Gesellschaft.
Die Höhe der Bildungsausgaben von knapp 13% des BIP, welches in diesem Verhältnis kein anderes Land der Welt erreicht, spricht eine deutliche Sprache.
Die Autorin ist pensionierte Lehrerin für Spanisch und Englisch.
[i] Weltbank, Zahlen von 2009-2013
[ii] UNESCO 2015, Zahlen von 2000-2015
[iii] Kupfer, Jürgen, Kubas Weg zur kostenlosen Bildung für alle, Kurzer historischer Abriss, Rediroma Verlag 2018, S. 118; Wer sich intensiv mit dem Thema auseinandersetzen möchte, sollte die 435 Seiten starke 2018 überarbeitete Monographie konsultieren. Sie war meine Hauptquelle.
[iv] Vgl. Kupfer, S. 134f
[v] Pérez Cruz, F., Paulo Freire y la Revolución Cubana: Reflexiones para las urgencias de la praxis; Vortrag gehalten auf dem Symposium “40 years from Education as the Practice of Freedom“ 2007 in Halifax , pdf über google erreichbar
[vi] UNESCO-Report on the methods and means utilized in Cuba to eliminate illiteracy, Paris, 1965, S. 72-73
[vii] Vgl. Kupfer, S. 203
[viii] Kupfer, S. 34
[x] Kupfer, S. 36
[xi] Ramírez García, Ramiro, Sistema de Educación en Cuba: Raíces, Logros y Retos, S.10 https://www.researchgate.net/publication/345813281_TITULO_SISTEMA_DE_EDUCACION_EN_CUBA_RAICES_LOGROS_Y_RETOS_CUBA_EDUCATION_SYSTEM_ROOTS_ACHIEVEMENTS_AND_CHALLENGES_ANTECEDENTES_Y_BASES_DE_LA_PEDAGOGIA_EN_CUBA
[xii] www.cubaeduca.cu, Hier können Curricula der einzelnen Fächer eingesehen werden.
[xiii] MINED 2014, Ramírez García, S.10
[xiv] Kupfer, S. 40
[xv] Kupfer, S. 44
[xvi] Wolf/Hernández Penton, Das Bildungssystem Kubas unter besonderer Berücksichtigung der beruflichen Bildung in Zeiten ökonomischen Wandels, Oktober 2014, S. 199 https://www.researchgate.net/publication/327418499_Das_Bildungssystem_Kubas_unter_besonderer_Berucksichtigung_der_beruflichen_Bildung_in_Zeiten_soziookonomischen_Wandels
[xviii] Wolf/Hernández Penton, S. 200
[xix] Kupfer, S.21f
[xx] Kupfer, S.42
[xxi] http://www.zwd.info/noch-weit-vom-ziel-entfernt-258-millionen-kinder-und-jugendliche-vom-schulbesuch-ausgeschlossen.html
[xxii] DAAD, S. 3-4; die Zahlen der Studienfächer sind von 2017/18, MES https://static.daad.de/media/daad_de/pdfs_nicht_barrierefrei/infos-services-fuer-hochschulen/laendersachstaende/expertise-zu-themen-laendern-regionen/kuba_daad_sachstand.pdf
[xxiii] Wolf/ Hernández Penton, S. 193f
[xxiv] DAAD, S.4
[xxv] Kupfer, S.24f
[xxvii] Vgl. Kupfer, S. 364;
[xxviii] Ebda., neuere Zahlen liegen leider nicht vor
[xxix] Kupfer, S.365
[xxx] DAAD, S.6