»Romero im Herzen, Lula im Blick«
Mauricio Funes amtiert seit 100 Tagen in El Salvador
Von Tom Beier, Neues Deutschland, 19. September 2009
Die Abwahl der ultrarechten ARENA-Partei im März bedeutete einen
Epochenbruch für El Salvador. Seit gut 100 Tagen regiert nun Mauricio
Funes, der Kandidat der ehemaligen Guerilla FMLN. Mit linken Akzenten
und mit Vorsicht, wozu der Putsch im Nachbarland Honduras gemahnt.
Mauricio Funes, der neue Präsident El Salvadors, spricht höchst
selbst von einer 100-Tage-Unsitte: »Das ist doch niemals genügend Zeit,
um einen kompletten Regierungsplan in Marsch zu setzen.« Große Sorgen
braucht er sich allerdings nicht zu machen, denn die neue Regierung
bekommt starken Zuspruch aus der Bevölkerung: Laut einer Studie der
Technischen Universität El Salvadors sind 83,8 Prozent zufrieden mit
Funes' Amtsführung. Keiner seiner erzkonservativen Vorgänger konnte dies
erreichen.
Die Salvadoreños wollten und wollen den »cambio«, den
Wandel. Und die Regierung hat erste Wahlversprechen wahr gemacht. Sie
startete ein Programm zur Armutsbekämpfung, schaffte die
Krankenhausgebühr ab und richtete ein »Komitee der sozialen Ökonomie«
ein, in dem neben Unternehmern auch Vertreter der sozialen Bewegungen
sitzen und die Regierung bei der Umsetzung ihrer Politik beraten.
Dabei hatte der »cambio« – gerade für die alte Linke – gar nicht so
viel versprechend begonnen. Das Land war durch jahrzehntelangen
schärfsten Neoliberalismus quasi »gewerkschaftsfrei«, Funes hatte im
Wahlkampf ein eindeutiges Bekenntnis zum Privateigentum abgelegt und
sich ohne Umschweife als Sozialdemokrat bezeichnet. Andererseits waren
viele wieder angenehm überrascht, als er in seiner Antrittsrede sehr
konkret wurde und Säulen eines »umfassenden Krisenplans« mit dem Bau von
25.000 Häusern, dem Aufbau eines Systems des sozialen Schutzes sowie dem
Anspruch auf Basisgesundheitsversorgung nannte.
Als sich jedoch
herausstellte, dass die konservative ARENA-Regierung ein riesiges
Haushaltsloch hinterlassen und beispielsweise in den Ministerien für
Soziales und Gesundheit 29 Phantom-Mitarbeiter beschäftigt hatte, die
den Steuerzahler jährlich 700.000 US-Dollar kosteten, sank die Stimmung
merklich. Die Regierung zog aus dem Korruptionsskandal ihrer politischen
Gegner jedoch politischen Nutzen und setzte eine
Anti-Korruptionskampagne in Gang, die ebenfalls gut ankam.
Rechtfertigungsargumente der Rechten, die neue Regierung wolle nur von
den wahren Problemen des Landes ablenken, verfingen nicht.
Spätestens nach dem ersten Monat des neuen Präsidenten schärfte sich
dessen politisches Profil. »Romero im Herzen, Lula im Blick«, titelte
ein deutscher Kommentator treffend. In der Tat ist der ehemalige
Journalist Funes aus katholischem Elternhaus den sozialen Ideen des von
der Rechten ermordeten salvadorianischen Erzbischofs Oscar Arnulfo
Romero ebenso verbunden wie der Politik eines nationalen Ausgleichs
zwischen aufgeschlossenem Unternehmertum und fortschrittlichen
Bewegungen und Kräften, wie sie Lula in Brasilien praktiziert. »Wir
werden nicht den Sozialismus ausrufen«, hatte Funes schon vor
Amtsantritt prophezeit.
Das erweist sich angesichts der
drängenden sozialen und ökonomischen Probleme in Form von jugendlicher
Bandenkriminalität und Auswirkungen der Finanzkrise als realistisch.
Noch gehört die Mordrate in El Salvador zu den höchsten in Lateinamerika
und die Überweisungen der oft illegal in die USA geflüchteten
Salvadoreños an ihre Familien sind mit dem Niedergang der USA-Ökonomie
rapide zurückgegangen.
Und noch ein anderes regionales
Großereignis lässt Funes vorsichtig agieren: der Putsch in Honduras.
Bereits am Tag nach Manuel Zelayas Entführung drohte der Chef der
ARENA-Partei Funes am Telefon: Sollte er sich weiter vorwagen, drohe ihm
das Gleiche.
Der lässt vorerst die Finger von heißen Eisen wie
dem Beitritt zum fortschrittlichen Staatenbündnis ALBA oder der Revision
des Amnestiegesetzes, das die Militärs, die im Bürgerkrieg Massaker
begangen haben, vorerst unangreifbar macht. Andererseits hat er die
diplomatischen Beziehungen zu Kuba wieder aufgenommen.
Dennoch,
Kritik aus dem eigenen Lager gibt es genug. Umweltschützer sind
enttäuscht, dass der Staatschef das umstrittene Staudammprojekt
Chaparral nicht stoppt. Böse Zungen behaupten, das liege daran, dass der
Präsident der Elektrizitätsgesellschaft ihm im Wahlkampf eine Großspende
habe zukommen lassen. Marxisten in der FMLN, hervorgegangen aus der
Befreiungsfront Farabundo Marti, bemängeln, dass Funes die revolutionäre
Demokratie in Form von Sozialisierung der Produktionsmittel nicht
konsequent umsetzt.
Der Präsident muss auf der Hut sein: In 100
Tagen ist die Macht der Großgrundbesitzer und Großindustriellen nicht zu
brechen und im Parlament ist die FMLN zwar die stärkste Fraktion, muss
aber für qualifizierte Mehrheiten mit den rechten Parteien kooperieren.
Auch der oberste Gerichtshof ist noch in deren Händen. Und so bereitet
man sich in El Salvador vor auf die kommenden Kämpfe. Der Präsident aber
sucht weiter den Ausgleich.