Cuba plant den strukturellen Wandel
Havanna sucht den »Sozialismus mit Pep«
Von Leo Burghardt, Havanna, Neues Deutschland, 26. September 2009
Der wiederholt verschobene 6. Parteitag der KP Kubas wird 2009
definitiv nicht stattfinden. Erst soll das alltägliche politische Feld
so bestellt werden, dass der Kongress strategische Analysen und
Richtlinien vornehmen und -geben kann.
Aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Es habe keinen Sinn sich nur der Form
halber zu beeilen, wenn nicht gewährleistet sei, dass der Kongress die
wesentlichen strategischen Aufgaben des Landes analysiert und klare
Richtlinien für die Zukunft verabschiedet werden können. So begründete
Präsident Raúl Castro, der 2. Sekretär der Kommunistischen Partei Kubas,
im August die Verschiebung des 6. Parteitages. Was Kuba anzupacken habe,
machte Castro klar: Bürokratieabbau, die Abschaffung von
»Unentgeltlichkeiten insoweit sie nicht von der Verfassung garantiert
sind«, ein Ende der Gleichmacherei, die Streichung von nicht zu
rechtfertigenden Subventionen, eine Renovierung der Volksbildung und der
Landwirtschaft sowie angemessene Strenge gegenüber Korruption und
Rosstäuschereien. Die Liste ist lang.
Betriebsküchen mussten
dicht machen (»oft genug Quellen für enormen Diebstahl und den
Schwarzmarkt«). Im Gegenzug bekommen Arbeiter und Angestellte der
betroffenen Betriebe und Verwaltungen pro Arbeitstag 15 Pesos
zusätzlich, was sich fast zu einem zweiten Monatsgehalt summiert, um
sich »auf der Straße« oder von zu Hause selbst zu versorgen. Simultan
dazu erhalten private Kioskbesitzer und Taxifahrer wieder Lizenzen. Wer,
egal ob Kubaner oder Ausländer in den vergangenen Jahren die kubanischen
Pass- und Zollkontrollen mit mühsam gebändigter Wut über sich ergehen
lassen musste – Schikanen und Bestechungen waren an der Tagesordnung –
wundert sich heute längst nicht mehr, wie nett, effizient und schnell
die neuen jungen Zöllner und Zöllnerinnen sind, die nicht durch
sowjetische oder DDR-Ausbildungsschulen verformt wurden.
In der
Parteizeitung »Granma« fragt der 16-jährige Alejandro, warum sich der
Sozialismus eher von Ideologie als von Ästhetik leiten lasse? Ob es eine
andere Option für Kuba gebe? Ob »Sozialismus mit Pep« unmöglich sei?
»Granma« antwortete mit drei Zweispaltern freundlich und geduldig. Da
heißt es unter anderem: »Wir alle sind mit der Vorstellung aufgewachsen,
dass die Wiege des Sozialismus in Osteuropa, speziell in der UdSSR
stehe«, bis man aus dem Traum erwachte, als diese Sozialisten das
bereits mit Schlagseite schlingernde Schiff verließen. »Granma« erinnert
an den Gründer der ersten marxistisch-leninistischen Partei Kubas Julio
Antonio Mella, der prophetisch davor gewarnt hatte, die sowjetischen
Erfahrungen zu übernehmen, denn: »unsere Partei muss auf denkende und
nicht gezähmte Menschen bauen.« Und deswegen der Pep? Wird kommen, ist
die »Granma« sicher. Er sei bereits im Gange – mit Tausenden
Bibliotheken, Kulturveranstaltungen, Hunderten Museen, mit einer Zensur,
die nur noch im äußersten Notfall eingreift. Überall werde getanzt, gebe
es Festivals des Balletts, des Buches, der abstrakten Malerei, des Raps
und Funks. Und ohnehin: Bildung für alle, Gesundheit für alle, Kultur
und Sport für alle. Die »krankhafte Besessenheit« von Betriebsleitern
usw., Schranken gegenüber Journalisten zu errichten, die
Gesetzeswidrigkeiten oder Schludereien auf der Spur sind, werde wohl
erst dann endgültig verschwinden, wenn sich das neue Denken Platz
verschafft hat. Die »Granma« leistet dazu ihren Beitrag.