Cuba nach dem Parteitag
Die Aktualisierung der cubanischen Ökonomie
Lesen Sie hierzu auch Standpunkte international 01 2012 (PDF-Datei)
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Für mehr Demokratie sorgen JW
Parteikonferenz in Cuba: Für Amtszeitbegrenzung, gegen Korruption
von André Scheer
Raúl Castro bei seiner Rede
vor den Delegierten in Havanna Foto: AP
Cubas Kommunisten sollen den Kampf gegen die Korruption verstärken.
Mit dieser Hauptforderung hat der Präsident der Inselrepublik, Raúl
Castro, in seiner Eigenschaft als Erster Sekretär des Zentralkomitees
am Sonntag (Ortszeit) in Havanna die erste Nationalkonferenz der Cubanischen
Kommunistischen Partei abgeschlossen. Die Korruption sei heute zu einem
der Hauptfeinde der Revolution geworden und richte mehr Schaden an,
als die mit Dollarmillionen finanzierten anticubanischen Programme der
US-Administration. Deshalb dürfe der Kampf gegen dieses Übel nicht nur
in zeitweiligen Kampagnen geführt werden, sondern müsse eine ständige
Aufgabe der Partei und der Staatsorgane sein. Die Revolution werde »ohne
einen Schuß« in die Hände des Feindes fallen, wenn ihre Führung eines
Tages »in die Hände von Korrupten und Feiglingen fallen« werde, warnte
er.
Ohne Namen zu nennen, kündigte Castro einen bevorstehenden
Schlag an. Dieser soll sich offenbar gegen Funktionäre richten, denen
Bestechlichkeit zur Last gelegt wird. »In den vergangenen Wochen haben
die Abgeordneten der Nationalversammlung und zahlreiche Kader und Funktionäre
im ganzen Land umfangreiche Informationen über einige Untersuchungen
erhalten, die derzeit von den darauf spezialisierten Organen des Innenministeriums
in enger Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft und dem Rechnungshof
der Republik durchgeführt werden. Zu gegebener Zeit und nach der Stellungnahme
der zuständigen Gerichte wird unsere gesamte Bevölkerung den Umfang
dieser Taten erfahren«, erklärte Castro.
Forderungen nach der
Einführung eines Mehrparteiensystems erteilte Castro erneut eine entschiedene
Absage, auch wenn selbst einige Freunde Cuba dazu aufforderten. Diese
ignorierten jedoch, daß Cuba kein Land ist, das sich unter normalen
Bedingungen entwickeln kann, sondern noch immer das Ziel von Blockade,
Aggressionen und Medienkampagnen. Wenn man das auf den Nationalhelden
José Martí und den Kampf um die Unabhängigkeit Cubas gegen die spanische
Kolonialherrschaft zurückgehende Prinzip einer Einheitspartei des Volkes
aufgeben würde, würde dies »ganz einfach bedeuten, die Partei oder Parteien
des Imperialismus auf dem Boden des Heimatlandes zu legalisieren«. Das
beste Argument für die Beibehaltung des eigenen Weges sei das Beispiel
der politischen Realität in den USA, »wo sich die Demokratische und
die Republikanische Partei an der Macht abwechseln und ohne größere
Differenzen die Interessen desselben Großkapitals verteidigen, dem sich
beide unterordnen«. Man spreche keinem anderen Land das Recht auf Mehrparteiensysteme
ab, »aber wir verteidigen das System der Einheitspartei gegen das Spiel
der Demagogie und der Verwandlung der Politik in eine Handelsware«.
In Cuba sei es die Aufgabe der Einheitspartei, »für mehr Demokratie
in unserer Gesellschaft zu sorgen«. Dazu müsse ein Klima des größtmöglichen
Vertrauens auf allen Ebenen geschaffen werden, um ehrlichen und umfassenden
Meinungsaustausch zu ermöglichen. Differenzen müßten mit Natürlichkeit
und Respekt behandelt werden und sich auch in den Massenmedien widerspiegeln.
Cubas Journalisten rief er zu »mehr Professionalität« auf. Diese müßten
verantwortungsvoll, objektiv, der Wahrheit verpflichtet und ohne unnützes
Sektierertum sowie »nicht im Stil der Bourgeoisie, voller Sensationalismus
und Lügen« die Realitäten Cubas aufzeigen.
Für die führenden
politischen und Staatsämter soll künftig eine Amtszeitbegrenzung von
maximal zwei aufeinanderfolgenden Perioden von jeweils fünf Jahren gelten.
Das werde auch in die Verfassung und die zugehörigen Gesetze aufgenommen,
kündigte Castro an, allerdings müsse man darauf nicht warten, sondern
solle bereits jetzt anfangen, die Regel schrittweise umzusetzen. Die
Parteikonferenz ermächtigte das Zentralkomitee, Mitglieder in das oberste
Parteigremium zu kooptieren. Das ist eine ausdrückliche Ausnahme für
die beim Parteitag im vergangenen April begonnene Amtszeit. Die Zahl
der so ohne Wahl in das ZK gelangten Mitglieder darf eine Gesamtzahl
von 20 Prozent nicht übersteigen. Das Zentralkomitee darf außerdem entsprechend
der von Parteitag und Parteikonferenz festgelegten Richtlinien die Statuten
der Organisation an die neuen Bedingungen anpassen.
Aus: rosa-luxemburg-konferenz 2012, Beilage der jW vom 01.02.2012
Aktualisierung, nicht Reform
Cuba befindet sich nach 20 Jahren Krise in einer komplizierten Situation. Es entwickelt jetzt sein eigenes Modell des Sozialismus
Pedro Noel Carrillo Alfonso ist cubanischer Diplomat. Er war von 2004 bis 2009 Botschafter in Irland und arbeitet jetzt in der Abteilung Internationale Beziehungen des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Cubas
Foto: Andreas Domma
Es ist sehr schwierig, in 20 Minuten die komplizierte cubanische
Realität zu erklären. Man möchte immer mehr wissen, als gesagt werden
kann, es gibt Zweifel und Fragen, ganz besonders bei denjenigen, die
die Erfahrung nicht mitgemacht haben, die Cuba hat oder die nicht direkt
mit cubanischen Themen verbunden sind. Zunächst einmal möchte ich sagen,
daß wir deswegen eine so komplizierte Wirklichkeit haben, weil die cubanische
Revolution eine echte, einzigartige, autochthone Revolution war, die
aus den ärmsten Schichten unserer Bevölkerung erwuchs. Sie hat im Prozeß
der Radikalisierung verschiedener politischer Tendenzen im Lande den
Weg zum Sozialismus eingeschlagen.
Wir haben auch deswegen eine
komplizierte Situation, weil diese Revolution niemals vom Imperialismus
akzeptiert wurde. Ich spreche von Imperialismus, ich sage nicht nordamerikanischer,
weil die Aggressivität sich in unterschiedlichen Formen ausgedrückt
hat. Imperialistische Länder haben immer das Ziel gehabt, eine sozialistische
Erfahrung in einem Land der »Dritten Welt« zu zerschlagen, weil sie
darin ein gefährliches Beispiel für die Pläne von Ausbeutung und der
Weltherrschaft sehen. Es ist auch deswegen kompliziert, weil diese Aggressivität
durch die Blockade verschärft wird. Das cubanische Volk leidet unter
dieser Blockade. Wir haben die traurige Ehre, das einzige Land zu sein,
das derart lange Zeit davon betroffen ist. Seit mehr als 50 Jahren ist
es Cuba unmöglich, mit den Nachbarn kommerziell zu verkehren. Vielmehr
gibt es zugleich die Verfolgung von Transaktionen in dritten Ländern.
1996 wurde in den USA das Helms-Burton-Gesetz verabschiedet mit dem
Ziel, aus der Blockade faktisch ein extraterritorial wirksames Gesetz
zu machen. Wir haben Beispiele, daß europäische Länder wegen dieses
US-Gesetzes nicht mit Cuba Handel treiben können.
Die cubanische
Revolution war stets mit den konkreten Bedingungen, mit den historischen
Momenten unseres Landes verbunden. Eine Revolution bedeutet für uns
Wechsel. Wir verstehen Revolution nicht als einen Prozeß, der 1959 stattfand
und in einem unbeweglichen Modell stehengeblieben ist. Wir haben in
unserer Revolution immer Veränderungen gehabt entsprechend der Notwendigkeiten
und Bedürfnissen unseres Volkes. Wir haben aber niemals internationalen
Druck akzeptiert, das war ein Grundprinzip. Fidel (Castro) hat immer
wieder ausführlich erklärt, was Revolution bedeutet. Ich denke, die
folgende Punkte sind das wichtigste: Der Sinn für den historischen Moment
und die Devise »Es muß das verändert werden, was verändert werden muß«.
Ich glaube, das Geheimnis ist in diesem Sinn die Verbindung zwischen
der Führung unserer Revolution, zwischen der Kommunistischen Partei
und der Bevölkerung. Darum konnte Cuba nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion
und dem Verschwinden der europäischen sozialistischen Länder überleben,
als 25 Prozent unseres Handels verlorengingen. Sehr viele Analytiker
in der Welt waren damals der Auffassung, es werde eine Art Dominoeffekt
geben, das sozialistische Cuba werde ebenfalls verschwinden.
Entwicklungsmodel
Die Philosophie, auf unser Volk zu hören, immer im Interesse unseres
Volkes zu handeln, war meiner Meinung nach das Geheimnis des Überlebens
Cubas. Ab 1990 bis noch vor drei Jahren haben wir sehr viele dringende
Aufgaben lösen müssen, die nicht aufzuschieben waren, die von der damaligen
Krise diktiert waren. Wir nennen diese Zeit Sonderperiode. Das klingt
nicht besonders schrecklich, aber für die Cubaner war es eine sehr schlimme
Zeit. In dieser tiefgreifenden Krise hat die Partei, haben die sozialen
Organisationen, die Gewerkschaften, nicht die Zeit gehabt und auch nicht
die notwendige Energie, um die Entwicklung unseres Landes langfristig
zu planen.
Vor drei Jahren haben wir aber entschieden, daß der
Moment gekommen war, über ein mittel- und langfristiges, ein nachhaltiges
Entwicklungsmodell für Cuba nachzudenken. Es ging vor allen Dingen darum,
ein Modell zu entwickeln, das in der Lage wäre, die Revolution, den
Sozialismus auch dann zu erhalten, wenn wir nicht mehr die historischen
Führer unserer Revolution bei uns haben. Alle wissen, daß Fidel (Castro)
und Raúl (Castro) ihre Autorität nicht durchsetzen müssen, sie haben
eine moralische Autorität, über die nicht diskutiert wird.
Wir
werden aber immer wieder einmal innerhalb der Krise härtere Jahre haben.
Die Leute applaudieren aber, wenn sie das hören, weil es ihnen erklärt
wird. Es ist das Gesetz des Lebens, daß diejenigen, die die Revolution
gemacht haben, die beim Sturm auf die Moncada 1953 und in der Sierra
Maestra dabei waren, in einigen Jahren nicht mehr unter uns sein werden
und die Revolution weitergehen muß.
Mehr als 20 Jahre der Sonderperiode
sind vergangen, und das hat uns geschadet. Unsere Wirtschaft und unser
Lebensstandard waren davon betroffen. Es gibt heute einen großen Prozentsatz
von jungen Cubanern, die nichts anderes kennen als die Wirtschaftskrise.
Das schadet allen. Die 20 Krisenjahre haben auch viele Strukturen unserer
Wirtschaft deformiert. Wir stehen vor sehr schweren Problemen. Es gibt
die doppelte Währung, etwas, was in Cuba früher unbekannt war, was aber
das Leben heute bestimmt. Man muß diese Probleme lösen. Die Cubaner
wollen nicht ständig in der Krise leben – wie die Deutschen auch nicht,
vermute ich. Darum müssen wir eine Lösung finden.
Ökonomische Strategie
Eine weitere große Herausforderung ist: Wir glauben nicht, daß es
ein Modell des Sozialismus gibt, das kopiert werden kann. Das gab es
niemals. Wir wollten so wenig wie möglich kopieren, aber wir hatten
in der Sowjetunion zumindest einen Bezugspunkt. Die Geschichte hat gezeigt,
welche Probleme es dort gab, was bedeutete, daß wir ein eigenes Modell
entwickeln mußten. Der Parteitag der Kommunistischen Partei Cubas 2011
hat deshalb nach einer langen Debatte mit der gesamten Bevölkerung eine
neue soziale ökonomische Strategie für die nächsten fünf Jahre angenommen.
Diese Strategie nennen wir Aktualisierung, nicht Reform, weil wir nicht
das negieren, was wir bisher gemacht haben. Wir wollen das Richtige
im richtigen Moment machen, aber wir müssen die Dinge aktualisieren
entsprechend den Bedürfnissen eines bestimmten historischen Moments
und in Entsprechung zu den internationalen Bedingungen. Cuba ist zwar
eine Insel, aber wir können nicht getrennt vom Rest der Welt leben,
wenn es um ökonomische und soziale Fragen geht.
Dieser Aktualisierungsvorschlag
führt erstens dazu, daß wir ein neues Wirtschaftsmodell in den Mittelpunkt
unserer Entwicklung stellen. Darin bleibt das sozialistische staatliche
Unternehmen die Grundlage für die cubanische Wirtschaft, bleibt die
sozialistische Planung ihre Hauptachse. Aber wir haben einen neuen Sektor,
der nicht staatlich ist. Wir nennen ihn nicht Privatsektor, sondern
nicht-staatlichen Sektor, das ist ein großer Unterschied.
Zweitens
ist eine Flexibilisierung der Arbeitsbedingungen in den staatlichen
Betrieben vorgesehen. Wir hatten ein sehr zentrales und flexibles System.
Jetzt ist es eher dezentralisiert, obwohl nach wie vor Planwirtschaft
betrieben wird, um ein ökonomisches Chaos zu vermeiden. Wir versuchen
vor allem, die Produktivität zu erhöhen, den Teufelskreis zu unterbrechen,
der uns durch die Krise auferlegt wurde. Der Wert unserer Währung ist
gesunken, damit auch der Wert der Gehälter, so daß die Menschen weniger
an der Arbeit interessiert waren. Die Folge war: Wir konnten in Cuba
letztlich nicht das und soviel produzieren, was wir produzieren wollten,
wir hingen von den Exporten ab. Die cubanische Wirtschaft war so nicht
aufrechtzuerhalten.
Das bedeutet: Im wesentlichen geht es um
soziale Gerechtigkeit. Der Sozialismus mußte die soziale Gerechtigkeit
und Chancengleichheit in den Mittelpunkt stellen, den Menschen, nicht
die Wirtschaft. Deshalb muß es Mechanismen geben, die diese sozialen
Gerechtigkeiten garantieren.
Neues Modell
Wir müssen zu einem anderen Modell übergehen, denn unser bisheriges
brachte uns in der Krise in Schwierigkeiten. Der nicht-staatliche Sektor
wird zum Ende dieses Jahres 20 Prozent der Arbeitskräfte ausmachen.
Das sind Menschen, die in gemischten cubanisch-ausländischen Unternehmen
arbeiten, und solche, die auf eigene Rechnung arbeiten, Selbständige,
sowie Menschen, die in Genossenschaften arbeiten. In Europa wurde viel
Propaganda getrieben, als die Nachricht kam, daß Cuba 500000 Staatsangestellte
entlassen wolle. Das stimmt überhaupt nicht. Wir wollen nur Einschnitte
in den staatlichen Unternehmen vornehmen. Dort arbeiten heute vier Leute,
wo wir manchmal nur eine Person brauchen. Sie sollen umgelenkt werden
in den genossenschaftlichen und den nicht-staatlichen Bereich. Es geht
um kleine Unternehmen oder Kooperativen, in denen die Werktätigen ihre
eigene wirtschaftliche Tätigkeit kontrollieren und vom Staat Produktionsmittel
leihen können. Gleichzeitig führen wir ein neues Steuersystem ein. Steuern
gab es in Cuba praktisch nicht, sie wurden von den staatlichen Unternehmen
bezahlt. Der nicht-staatliche Sektor, die dort Beschäftigten, müssen
nun Steuern und Beiträge zur Sozialversicherung zahlen.
In Cuba
werden zur Zeit alle Einwohner mit Subventionen unterstützt. Es gibt
Lebensmittelkarten, mit denen die Menschen unabhängig von ihrem Einkommen
Grundnahrungsmittel einkaufen können. 1,7 Milliarden US-Dollar sind
nötig, um dieses System aufrechtzuerhalten. Es gibt Leute, die darauf
angewiesen sind, andere sind es weniger. Aber auch sie haben diese Lebensmittelkarten.
Wir müssen jetzt zu einem System übergehen, in dem die Subventionen
für Personen verwendet werden, die in wirtschaftliche Schwierigkeiten
geraten sind. Das wird ab diesem Jahr geschehen.
Nach heutigem
Stand arbeiten bereits 357000 Menschen als Selbständige. Außerdem hat
der Staat 1,6 Millionen Hektar für die landwirtschaftliche Nutzung übergeben.
Das waren Flächen, die brachlagen. Statt früher 250000 Menschen arbeiten
derzeit 420000 in der Landwirtschaft. Die neue Subventionspolitik beginnt
bei den Wohnungen. Im nationalen Etat werden 800 Millionen Pesos für
die Unterstützung des individuellen Wohnungskaufs bereitgestellt.
Das sind einige Aspekte der Verwirklichung des neuen Modells. Dazu
gibt es natürlich Fragen und Sorgen in der Bevölkerung. Der Prozeß ist
sehr umfassend, und die Leute möchten sehen, daß sich der Lebensstandard
weiterentwickelt. Wir haben analysiert, daß es langsam vorangeht, es
aber ermutigende Zeichen gibt. Die Wirtschaft ist 2011 trotz der allgemeinen
Krise, trotz des Rückgangs beim Tourismus um 2,7 Prozent gewachsen.
Die Produktivität ist erstmalig seit vielen Jahren um 1,2 Prozent gestiegen.
Das ist noch eine mäßige Erhöhung, aber immerhin ein Fortschritt. Auch
die Gehälter haben sich um 2,2 Prozent erhöht.