Konstruierte Argumente
Die aktuelle Kampagne gegen das sozialistische Kuba folgt einem
bekannten Schema.
Um Menschenrechte geht es der EU dabei nicht
Von Harald Neuber
Man könnte hinter der aktuellen Kampagne
gegen die sozialistische Regierung in Kuba eine versteckte Regel vermuten:
Seit Mitte der 1990er Jahre kommt es alle sieben Jahre zu einem Skandal,
der in einer weiteren Zuspitzung der ohnehin belasteten Beziehungen
Havannas mit den USA und der Europäischen Union führt. Alle sieben Jahre
läuft der Konflikt nach dem gleichen Schema ab: Sobald es zu einer Annäherung
Kubas an die USA oder die EU kommt, provozieren regierungsfeindliche
Gruppen einen Skandal.
1996 drang die militante Exilorganisation
„Hermanos al Rescate“ trotz wiederholter Warnungen in den kubanischen
Luftraum ein, bis zwei Cessna-Flugzeuge von der Luftwaffe abgeschossen
wurden. Die US-Regierung, damals unter William „Bill“ Clinton, brach
die laufenden Gespräche mit der kubanischen Führung ab und verschärfte
die Blockade. Der ultrarechte spanische Ministerpräsident José Maria
Aznar nutzte die Gunst der Stunde, um die so genannte Gemeinsame Position
der EU gegen Kuba durchzusetzen. Sieben Jahre später, 2003, war das
Klima zumindest zur EU entspannter. Diesmal war es die US-Führung, die
eine Zuspitzung herbeiführte. Im Rahmen des beginnenden „Krieges gegen
den Terror“ wurde auch Kuba unverhohlen bedroht. Die Aussetzung eines
unter Clinton ausgehandelten Abkommens zur Ausstellung von Visa für
die USA sorgte zudem für Unruhe auf der Insel. Eine Folge: Mehrere kubanische
Bürger versuchten illegal in die USA zu gelangen. Flugzeug- und Schiffsentführungen
waren die Folge. Drei Kidnapper einer Fähre wurden zum Tode verurteilt.
Wieder einmal stand Kuba am Pranger, eine Normalisierung der Beziehungen
war nunmehr undenkbar.
Im Jahr 2010 heißt der Skandal Orlando
Zapata Tamayo. Der wegen strafrechtlicher Vergehen verurteilte Häftling
hatte sich im Gefängnis als politischer Aktivist inszeniert. Von regierungsfeindlichen
Gruppen motiviert trat er Ende 2009 in einen Hungerstreik, an dessen
Folgen er am 23. Februar dieses Jahres verstarb. Es fällt schwer, an
einen Zufall zu glauben. Zu Jahresbeginn hatte die sozialdemokratische
Regierung Spaniens die EU-Ratspräsidentschaft mit dem erklärten Ziel
übernommen, die so genannte Gemeinsame Position der EU abzuschaffen.
Das Dokument stellte seit 1996 die größte Hürde für eine Annäherung
zwischen Kuba und der Europäischen Union dar: In ihm wird immerhin ein
Systemwechsel gefordert. Schon Ende 2009 hatten rechte Akteure in der
EU gegen das von Spaniens Außenminister Miguel Ángel Moratinos angekündigte
Projekt gewettert. Unter ihnen: Die deutsche Unionspolitikerin Erika
Steinbach, die sich sonst als Fürsprecherin der rechtskonservativen
„Vertriebenverbände“ stark macht.
Zapatas Tod kam, das ist der
eigentliche Zynismus, diesen Kräften Recht. Obgleich der Inhaftierte
in medizinischer Betreuung verstarb, wurde in europäischen Medien mitunter
der Eindruck erweckt, er sei in schlimmster Kerkerhaft elendig zugrunde
gegangen. Aus gutem Grund schwieg man sich über den Anlass des Hungerstreiks
aus: Zapata protestierte für ein Mobiltelefon, einen Fernseher und eine
eigene Kochgelegenheit in seiner Zelle. Auch die Reaktion der kubanischen
Regierung wurde in deutschen Medien verschwiegen: Sowohl Staats- und
Regierungschef Raúl Castro als auch Parlamentspräsident Ricardo Alarcón
bedauerten den Tod und kondolierten der Familie. All das passte nicht
recht in das Bild der „kubanischen Diktatur“ (El País, Spanien) oder
des „menschenverachtenden Regimes“ (ÖVP, Österreich).
Ebenso
wenig stimmt der weitere Umgang der Staatsführung mit ihren Gegnern
mit dem Bild überein, das von internationalen Medienkonzernen präsentiert
wird. Nach Zapatas Tod trat ein weiterer Oppositioneller, Guillermo
Fariñas, ebenfalls in Hungerstreik. Im Gespräch mit dem Korrespondenten
der Deutschen Presse-Agentur (dpa) erklärte Fariñas, dass ein „hochrangiger
Funktionär der Regierung“ ihn besucht habe, um ihn von Ende der lebensfeindlichen
Aktion zu überzeugen. Zugleich demonstrierten die auch aus den USA finanzierten
„Damen in Weiß“ tagtäglich auf den Straßen von Havanna.
Weshalb
aber soviel Aktionismus? Die Antwort ergibt sich bei einem Blick auf
die politische Agenda: Bis Ende Juni soll die „Gemeinsame Position“
der EU gegenüber Kuba überprüft werden. Und Mitte Mai werden sich Staats-
und Regierungschefs aus Europa, Lateinamerika und der Karibik in Madrid
zum zweijährlichen EULAC-Gipfel treffen. Die konzertierte Kampagne kubanischer
Regierungsgegner, internationaler Medienkonzerne und rechter Parteien
in Europa zielt offensichtlich auf diese beiden Termine ab, bei denen
eine Annäherung an Kuba hätte beschlossen werden können. In diesem Zusammenhang
sieht Kuba eine Resolution, die das EU-Parlament Mitte Februar gegen
die Stimmen der linken Fraktion GUE/NGL verabschiedete. Darin wird die
EU-Führung mit Verweis auf den Tod Zapatas erstmals zu einer aktiven
Unterstützung regierungsfeindlicher Kräfte in Kuba aufgefordert.
Man muss kein Aktivist der Kuba-Solidaritätsbewegung sein, um die
Aufrichtigkeit der EU bei ihrem Einsatz für die Menschenrechte in Kuba
zu bezweifeln. Deutlich macht das der Vergleich mit anderen Staaten
der Region. Die US-amerikanische Menschenrechtsorganisation Human Rights
Watch – mitnichten ein linksgerichteter Verband – beklagte seit dem
Militärputsch gegen die letzte demokratische gewählte Regierung in Honduras
in einem halben Dutzend Erklärungen „Morde, Vergewaltigungen, Folter
und Entführungen“ von Aktivisten der Demokratie- und Widerstandsbewegung
dieses mittelamerikanischen Landes. Im Norden Perus wurden bei Auseinandersetzungen
um die Ausbeutung natürlicher Ressourcen in den vergangenen Monaten
Dutzende indigene Einwohner erschossen. Und in Kolumbien, wo jede Woche
Gewerkschafter und Oppositionelle ermordet werden, wurde Anfang des
Jahres das größte Massengrab in der Geschichte Lateinamerikas entdeckt.
2000 Leichen hatte die Armee in der Region Macarena verscharrt. Weder
Deutschland noch die EU reagierten auf diese Fälle staatlichen Massenmordes
mit einer Demarche oder gar einer Protestresolution. Menschenrechte
werden dann entdeckt, wenn es politisch opportun ist.
Harald
Neuber ist Korrespondent der lateinamerikanischen Nachrichtenagentur
Prensa Latina in Deutschland. Das hiesige Büro der 1959 von Fidel Castro
und Ernesto „Che“ Guevara in Havanna gegründeten Agentur, wurde Mitte
2009 nach zwei Jahrzehnten in Berlin wiedereröffnet. Bei dem vorliegenden
Text handelt es sich um die erste Folge einer fortan monatlich erscheinenden
Kolumne.