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Humanitäre Cuba Hilfe e.V.  
Medizinische Hilfslieferungen, humanitäre, kulturelle und politische Projekte, Informationsarbeit

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HCH: Humanitäre Cuba Hilfe
- ein Stück menschlicher Solidarität jenseits politischen Kalküls und ideologischer Starre, Begegnungen zwischen Menschen -


Cubanischer Oldtimer Cubanische Kinder spielen Schach Trombonespieler auf Cuba Cubanische Hausansicht Aufforderung das Embargo zu stoppen


Bericht von der Rundreise „Mais Médicos“, Kubas Ärzt*innen in Brasilien und die Gründe ihres Rückzuges

Als wir, eine Reisegruppe des Netzwerk Cuba, im Oktober 2013 in Cardenas die neurologische Reha für Kinder besuchten, ein Projekt der DKP, stießen wir in einer Aula auf eine größere Gruppe von „Galenos“. So werden Mediziner und andere im Gesundheitswesen Tätige bezeichnet. Sie lernten dort Portugiesisch.

Was war der Hintergrund? Als es während der Vorbereitungen für die WM 2014 und der Olympiade 2016, wegen Korruption und zunehmender sozialer Probleme in Brasilien zu Protesten und Ausschreitungen gekommen war, hatte die damalige Präsidentin Dilma Roussef 2013 das Programm „mais médicos“ ins Leben gerufen, um die Versorgung in den Favelas, in Amazonien und anderen ärztlich nicht oder kaum versorgten Regionen zu verbessern. Laut einem Bericht der Granma vom 5.11. 2013 waren bereits 3600 Kubaner*innen in Brasilien und versorgten dort 12 Millionen Menschen. Bis Ende dieses Jahres sollte es 6600 kubanische Mediziner in Brasilien geben, eine beispiellose Leistung, zu der kein anderes Land in der Lage wäre.

Damals konnte ich nicht ahnen, dass ein ultrarechter neugewählter Präsident Brasiliens 2018 durch sein provokantes und respektloses Verhalten den Abzug von gut 8000 kubanischen Ärzt*innen bewirken sollte. Und ich ahnte ebenso wenig, dass mich dies zu einer Rundreise mit einer kubanischen Ärztin inspirieren sollte und zu Veranstaltungen in 15 Städten Deutschlands und der Schweiz( Bochum, Bonn, Bremen, Braunschweig, Hamburg, Schwerin, Berlin, München, Stuttgart, Bern, Genf, Yverdon-Les-Bains, Basel, Mainz und Frankfurt).

Indira Garcia bei ihrem Vortrag in Stuttgart

Indira Garcia bei ihrem Vortrag in Stuttgart

Diese Vortragsreise fand gerade am 20.9. ihren Abschluss in Frankfurt am Main. Indira Garcia Arredondo, die von kubanischer Seite vorgeschlagene charismatische Ärztin, bewies eine ausgezeichnete Kondition und konnte die Zuhörerschaft überall mit ihrem Vortrag in ihren Bann ziehen. Es waren jeweils 20-45 Zuhörer bei den Veranstaltungen, die sich in der Regel lebhaft und engagiert an der anschließenden Diskussion beteiligten. Indira, gerade mal 33 Jahre alt, hatte schon 2 Jahre in Venezuela gearbeitet und dann fast 3 Jahre in Brasilien. So konnte sie authentisch aufzeigen, welche Verbesserungen Kubas Ärzt*innen in der Gesundheitsversorgung dort in schlecht oder nicht versorgter Gebiete bewirkt hatten und was es für eine arme Bevölkerung bedeutet, wenn die humanistischen Errungenschaften vorheriger linker und halblinker Regierungen durch Wahlen oder einen wie auch immer gearteten Putsch zu Gunsten eines harten neoliberalen Konzeptes rückgängig gemacht werden.

Das Programm „mais médicos“ wurde als Dreiecksabkommen unter Federführung der Panamerikanischen Gesundheitsorganisation PAHO, einer Unterorganisation der WHO, zwischen Kuba, Brasilien und der PAHO abgeschlossen. Seit Beginn im August 2013 waren über 20.000 Kubaner in Brasilien tätig, welche in fünf Jahren mehr als 113 Millionen Patienten behandelten, die nicht oder nicht ausreichend durch das öffentliche Gesundheitswesen erreicht wurden. Zuletzt waren gut 8.400 kubanische Ärzt*innen in mehreren tausend Gemeinden des Landes tätig- und zwar dort, wo es weh tat: in den Slums, in Amazonien und anderen vergessenen, armen, oft auch gewalttätigen Regionen Brasiliens. Zuletzt waren von den 18 000 in dem Programm tätigen Ärzt*innen knapp die Hälfte Kubaner*innen, die etwa 28 Millionen Patienten versorgten. Zu Beginn lag der Anteil der kubanischen Mediziner bei 80 Prozent.

Im Dezember 2018 hat Kuba seine Mediziner aus Fürsorgepflicht und wegen des offensichtlichen Vertragsbruches zurückgeholt, nachdem der neu gewählte rechtsextreme brasilianische Präsident Jair Bolsonaro aus politischem Kalkül die einseitige Veränderung der Vertragsbedingungen ankündigte, die Qualifikation der kubanischen Ärzt*innen anzweifelte und sie als Sklaven eines diktatorischen Regimes bezeichnete. Kuba fürchtete mit Recht auch um die Sicherheit seines Fachpersonals, das sich freiwillig für den für kubanische Verhältnisse gut bezahlten Einsatz gemeldet hatte. Brasilien zahlte Kuba pro Arzt über die PAHO, die 5 Prozent als Verwaltungskosten einbehielt, anfangs umgerechnet etwa 4500 $/ Monat. Die kubanischen Ärzte erhielten davon etwa 1245 $ . Mit steigender Inflation in Brasilien sank die Vergütung deutlich. Neben dieser als „Estipendio“ bezeichneten Aufwandsentschädigung behielten die Kubaner ihren Arbeitsplatz in Kuba, ihr Gehalt dort wurde weiter an ihre Familien ausbezahlt. Indira berichtete, dass die kubanischen Ärzt*innen für 3 Monate im Jahr ihre Angehörigen einladen konnten. Und sie bekamen zusätzlich einen kostenlosen Heimflug zu ihrem vierwöchigen jährlichen Urlaub in Kuba. Der kubanische Staat, der die Ausbildung dieser Ärzte komplett finanziert hat(ein Medizinstudium kostet in den USA 300 000$), profitiert hier eindeutig von der Arbeit seiner „Gesundheitsarbeiter“. Er verwendet die „Gewinne“ aber nicht zur Bereicherung von Shareholdern oder seiner Funktionäre sondern finanziert damit das eigene Gesundheitssystem, das allen Kubanern nahezu kostenfrei zur Verfügung steht, wie auch das kostenlose Studium seiner jungen Menschen, internationale Missionen etc.. Für Indira war das völlig ok. Sie betonte immer wieder die Freiwilligkeit der Auslandseinsätze. Ferner berichtete sie, dass sich derzeit zahlreiche kubanische Ärzt*innen in Sprachkursen für weitere Auslandseinsätze befänden. Sie lernten englisch, französisch, russisch und deutsch. Sie selbst würde derzeit französisch lernen für einen geplanten Einsatz in Algerien, wo 1963 auch der erste internationalistische Einsatz kubanischer Ärzt*innen stattgefunden habe.

2018 waren noch etwa 50.000 kubanische medizinische Spezialisten in 68 Ländern tätig (das sind gut 25 Prozent der medizinischen Fachkräfte Kubas, davon gut die Hälfte Ärzte). Von dieser Zahl sollen rund 11.300 Ärzte in 23 Ländern gewesen sein, die für ihre Tätigkeit auch bezahlt wurden. Den Löwenanteil machte zuletzt mit 8.400 Medizinern Brasilien aus. Der Rückzug der kubanischen Ärzt*innen ist vor allem für die nicht mehr versorgten häufig mittellosen brasilianischen Patienten ein großes Problem, aber auch für den kubanischen Staat, der von reicheren Ländern wie Brasilien, Venezuela, Südafrika, Nigeria, Katar, China u.a. für die medizinischen Dienste gut bezahlt wird bzw. wurde. Kuba hat diese Zahlungen mit den Internationalisten geteilt und zur Finanzierung des eigenen Sozialstaates verwendet. Vergessen dürfen wird dabei nicht, dass Kuba die meisten Einsätze auf eigene Rechnung durchgeführt hat, andere in Dreieckskooperationen mit der WHO.

Die USA haben, wie wir wissen, in der Vergangenheit keine Mittel gescheut, Kuba zu schwächen, ein Regime Change herbeizuführen. Und so haben sie auch die internationalen medizinischen Einsätze Kubas angegriffen, die Missionen, wie die Kubaner sagen. Das vom State Departement unter Präsident George W. Bush im August 2006 aufgelegte Programm »Cuban Medical Professional Parole«, mit dem kubanische Mediziner bei internationalen Hilfseinsätzen mit der Zusage von gut bezahlten Jobs in den USA abgeworben werden sollten, war eines dieser Versuche, die u.a. auch von der New York Times kritisiert worden sind. Kubas Weißkittel wurden später auch als 5. Kolonne des kubanischen Militärs, als Aufrührer und Geheimagenten diffamiert. Jetzt werfen die USA Kuba vor, mit der Entsendung der Mediziner Menschenhandel zu betreiben, ein absurder Vorwurf, wie Indira überzeugend darlegen konnte. Aber diese Desinformationskampagne läuft sehr intensiv und mit einem sehr großen Budget.

Zusätzlich machten wir auf die schändliche Verurteilung des Expräsidenten Lula da Silva aufmerksam. In einer infamen Komplizenschaft mit der Justiz gelang es den Rechten Lula nach einem international mehr als umstrittenen Prozess wegen Korruption zu fast neun Jahren Haft verurteilen zu lassen, die Lula seit April 2018 in einem Gefängnis in Curitiba verbüßt. Lula war den Konservativen als klarer Favorit für die Präsidentschaftswahl 2018 zu gefährlich geworden. Also zog man die juristische Karte und konstruierte eine Anklage, wie aktuell geleakte Dokumente beweisen, die im US-Onlinemagazin „The Intercept“ bereits teilweise veröffentlicht wurden.

Deshalb unterstützten wir mit dieser Rundreise auch die Bewegung „Free Lula“!

Im Ergebnis war die kubanische Hilfe eine Erfolgsgeschichte. Von der WHO als vorbildlich auch für andere Länder gelobt, konnte die Zahl der Brasilianer, die gemäß dem Bericht der Panamerikanischen Gesundheitsorganisation eine Grundversorgung erhielt, in den ersten 4 Jahren von 59,6 auf 70 % gesteigert werden. Auch konnte die Kindersterblichkeit in den von den Kubanern betreuten Regionen stark gesenkt werden und lag zuletzt z.B. in Embu-Guacu bei 7, zuvor bei 17 Prozent.

Und wie sagte ein kubanischer Freund mir mal: Sollen sie uns doch ruhig vorwerfen, dass wir mit unseren Ärzt*innen Geld verdienen. Aber wir helfen mit unserem Einsatz wenigstens Menschen in Not. Das ist für mich immer noch die deutliche bessere Alternative als von Waffenexporten zu profitieren und Kriege anzuzetteln.

Indira Garcia

Indira schrieb mir gerade aus Kuba:

Buenos días. El viaje todo bien. Y también el regreso a casa. Espero que todos en su casa se encuentren bien. Nuevamente muchas gracias por todo Ustedes, son personas maravillosas y a Usted en especial por darme la oportunidad de transmitir mi experiencia como médica cubana internacionalista. Saludos desde la isla para todos en su casa y a todos los compañeros que con tanto amor y cariño me atendieron y me hicieron sentir como en casa. Gracias

(Guten Tag. Der Flug zurück nach Kuba verlief ohne Probleme wie auch die Rückkehr von Havanna nach Hause (in Sagua la Grande in der Provinz Villa Clara). Ich hoffe, dass Ihr Euch alle in Eurem Zuhause wohl fühlt. Erneut vielen Dank an Euch alle. Ihr seid wunderbare Menschen und Du besonders, weil Du mir die Möglichkeit gegeben hast, meine Erfahrungen als kubanische internationalistische Ärztin mit Euch zu teilen. Grüße von der Insel an alle, die Ihr mich mit so viel Liebe und Zuneigung betreut habt. Ich habe mich wie zu Hause gefühlt. Danke).

Dr.med. Klaus-U. Piel

Vorstand HCH e.V. und mediCuba-Europa