Wir haben ein neues Gesundheitsprojekt !
Was machen wir?
Dieses Projekt wird in Deutschland professionell von Prof. Dr. Thielmann, dem letzten Gesundheitsminister der DDR, KarEn e.V. aus Berlin und der HCH unterstützt.
Wir werden uns schwerpunktmäßig und traditionell um den medizinischen Teil kümmern und zunächst
- ein transportables PC-fähiges EKG- und ein CTG- Gerät (Kontrolle der Wehen und der kindlichen Herztöne) finanzieren,
- ferner 20 Blutdruckmessgeräte,
- 20 Stethoskope,
- 10 geburtshilfliche Stethoskope,
- 1 Ophthalmoskop,
- BZ-Messgeräte mit ca. 1000 Teststreifen
- u.a.m.
Der Transport nach Cuba ist gesichert.
Wir bitten Euch um Spenden für dieses neue Projekt:
Spendenkonto der HCH
bei der Sparkasse Dortmund
KoNr 91016036 BLZ 44050199
Stichwort Belén/Dissfa
Auch kleine Beträge sind willkommen.
Bei Spendenbeträgen unter 100 € gilt der Überweisungsträger als
Spendenbeleg für das Finanzamt. Bei Summen darüber erhaltet Ihr
kurzfristig eine Spendenquittung. Bitte Eure Adresse nicht vergessen!
Sonst funktioniert das nicht.
Hintergrundinformationen 2013
Cuba hat ein gut strukturiertes aber schlecht ausgerüstetes und
dennoch erstaunlich leistungsfähiges Gesundheitswesen. Mit 10% der
Gesundheitsausgaben im Vergleich zu Deutschland, 4% verglichen mit den
USA, unterscheidet sich die mittlere Lebenserwartung in Cuba nicht von
der in den USA, die Säuglingssterblichkeit ist wesentlich niedriger. Die
gute Effizienz der cubanischen Gesundheitsversorgung beruht auf einer
prophylaktischen Orientierung des gesamten Systems und umfassender
familienärztlicher Betreuung. FamilienärztInnen versorgen je 15 bis 20
Familien oder 1.200 bis 1.500 Personen. Die Betreuung schließt die
gesamte Familie ein, auch die Gesunden. Diese werden jährlich einmal zu
einer Vorsorgeuntersuchung und Gesundheitsberatung eingeladen.
Seit einiger Zeit ändert sich die Morbiditätslage. Unter dem Einfluss
'westlicher' Lebensgewohnheiten steigt das Erkrankungsrisiko für
chronische nicht-übertragbare Krankheiten. Diese verursachen weltweit
mehr als 60%, in den Industrieländern mehr als 80% aller vorzeitigen
Todesfälle. Das cubanische Gesundheitswesen geht mit
bevölkerungswirksamen Maßnahmen gegen Fehlernährung, Bewegungsmangel,
Tabak- und Alkoholmissbrauch vor. Dennoch nehmen Übergewicht und
Bluthochdruck weiter zu, begleitet von wachsendem Erkrankungsrisiko für
Herz-Kreislauf- und Krebserkrankungen, Diabetes und andere verhaltens-
und verhältnisbedingte chronische Krankheiten. Ein Pilotprojekt im
historischen Zentrum der Altstadt von Havanna hat im Jahr 2010 mit einer
stärker personalisierten Gesundheitsberatung begonnen und damit eine
signifikante Reduzierungen von Risikofaktoren für die Entstehung
chronischer nicht-übertragbarer Krankheiten erreichen können.
Die in diesem Projekt gesammelten Erfahrungen sollen auf drei Bevölkerungsgruppen ausgedehnt werden:
- schwangere Frauen und Mütter mit Kindern bis zu einem Jahr, um der Entstehung chronischer nicht-übertragbarer Krankheiten durch Förderung gesunder Lebensweise und gesundheitsfördernder Lebensverhältnisse frühestmöglich vorzubeugen;
- Personen in fortgeschrittenem Alter, von denen viele bereits unter chronischen nicht-übertragbaren Krankheiten leiden, um deren Fortschreiten durch angepasste Lebensweise und Lebensverhältnisse zu minimieren;
- die gesamte Klientel einer großen Poliklinik im Kern der Altstadt, um die Praxistauglichkeit personalisierter Gesundheitsberatungen in der familienmedizinischen Versorgung der Bevölkerung zu optimieren.
Die Fortführung, Erweiterung und Perfektionierung des Vorhabens
bedarf eines Minimums an qualitativ einwandfreier medizinischer
Ausrüstung sowie von Informationstechnologie zur Dokumentierung und
Auswertung der Gesundheitsberatungen, Beobachtungen und Messdaten. Neben
Ausrüstung für die Geburtshilfe, die Betreuung von Schwangeren und
Neugeborenen werden insbesondere zuverlässige Blutdruck- und
Blutzuckermessgeräte gebraucht, für die Datenerhebung Netbooks oder
Tablet-PCs, Modems und USB-Datenspeicher.
Für die Erweiterung
des Projekts, an dem bisher zehn Familienärztinnen und 1.500 Bewohner
der Altstadt von Havanna beteiligt sind, um weitere zwanzig
FamilienärztInnen und 3.000 BürgerInnen, besteht ein Finanzierungsbedarf
in Höhe von EUR 12.000. Die Mittel werden ausschliesslich für
medizinische Ausrüstung und Informationstechnik benötigt. Keinem der
beteiligten Personen werden Arbeitsaufwand oder Auslagen vergütet.
Koordiniert wird das erweiterte Programm vom Betreuungszentrum für
ältere BürgerInnen 'Belén' in der Altstadt von Havanna. Eine Information
über Belén ist dieser Bitte um Unterstützung beigefügt. Die Ausrüstung
für das gesamte Programm wird Belén übergeben.
Die Nutzung
erfolgt in der Poliklinik 'Dr. Tomás Romay', im Geburtshilflichen
Zentrum 'Doña Leonor Pérez Cabrera', dem Geriatrischen Zentrum 'Dr.
Ramón y Cajal' und in Belén selbst.
K. Thielmann / Juni 2012
Kurzinformation zum Projekt
Individuelle und Soziale Gesundheitsdeterminanten in der
familienärztlichen Praxis
'Determinantes Individuales y Sociales de
la Salud en la Medicina Familiar'
- DISSFA -
Thesen
1. Neben ihren kurativen Verpflichtungen steht die Medizin
gegenwärtig vor zwei strategischen Aufgaben: (a) Verweigerung jeden
Vorschubs kommerziellen Missbrauchs der Profession, (b) Senkung des
Erkrankungsrisikos für chronische nicht-übertragbare Krankheiten.
Die Beschränkung medizinischer Betreuung und wissenschaftlichen
Fortschritts auf Diagnostik, Therapie, Pflege und Rehabilitation in
fataler Verknüpfung mit kommerziellen Interessen überfordert die
wirtschaftlichen Voraussetzungen für Gleichbehandlung. Die aber ist eine
Maxime der Medizin, Merkmal demokratischer Ordnung und ein Grundrecht.
2. Senkung des Erkrankungsrisikos setzt personalisierte
Auseinandersetzung mit individuellen und sozialen
Gesundheitsdeterminanten voraus. Massnahmen auf Bevölkerungsebene
sind unverzichtbar, doch nicht ausreichend.
3. Das geeignete
Instrument für personalisierte Massnahmen zur Reduzierung des
Erkrankungsrisikos durch Gesundheitsförderung und Prävention ist eine
weit in den sozialen Bereich hinein wirkende Integrative
Allgemeinmedizin, deren Aufgaben Verhaltensprävention und Engagement
für Verhältnisprävention einschliessen.
Fragestellung des Projekts:
Ist im Rahmen integrativer allgemeinmedizinischer Versorgung (a)
personalisierte salutogenetische Betreuung sinnvoll und praktikabel, (b)
ist Einflussnahme auf Verhältnisprävention möglich, (c) rechtfertigt der
Nutzen den Aufwand?
Ort und Akteure:
Untersuchungen zur Beantwortung dieser Fragen werden gegenwärtig von
zehn FamilienärztInnen der Poliklinik 'Dr. Tomás Romay' im historischen
Stadtzentrum von Havanna/Cuba durchgeführt.
'Familienärzte':
Das cubanische Gesundheitssystem stützt sich auf eine breite
familienärztliche Basis. FamilienärztInnen sind vorwiegend
'FachärztInnen' für 'Allgemeine Integrative Medizin' (AIM). Die
Ausbildung zum Facharzt für AIM dauert drei Jahre und schliesst obligat
an das Medizinstudium an. Jede andere, 'vertikale' Facharztweiterbildung
setzt den Facharzt für AIM voraus. Das sichert allen Fachrichtungen ein
gemeinsames holistisches Konzept. Fachärzte für AIM geniessen hohes
Ansehen, viele von ihnen auch in Führungspositionen. Ausser Fachärzten
für AIM sind allgemeine Internisten familienärztlich tätig.
Familienärzte praktizieren in Polikliniken, Ambulatorien und diesen
zugehörigen Praxen im Wohngebiet. Sie versorgen jeweils etwa 120
Familien, ca. 1.200 Personen, darunter (1) Gesunde, (2) Personen mit
einem Gesundheitsrisiko, (3) Patienten, (4) Personen mit dauerhafter
gesundheitlicher Behinderung. Für jede dieser Gruppe gibt es spezifische
Betreuungsprogramme.
Zeitrahmen des Projekts:
2010 wurden das Protokoll der Studie erarbeitet, die Ärzte auf die
Untersuchungen vorbereitet und Voruntersuchungen durchgeführt. Die
planmässigen Untersuchungen begannen Anfang 2011 und sollen Anfang 2013
abgeschlossen werden. Im Frühjahr 2012 erfolgte eine Zwischenauswertung.
Finanzierung:
Technische Hilfsmittel (12 Netbooks Lenovo 12“, Datenträger,
USB-Modems, Drucker/Kopierer u.a.m.) wurden von der Berliner Tagesklinik
'Esplanade' sowie von privaten Spendern aus Deutschland und
Grossbritannien finanziert, Reisekosten vom Initiator der Studie
getragen, die Unterbringung in Havanna vom Büro des Stadthistorikers
übernommen. Keinem Teilnehmer an der Studie wird Arbeitsleistung
vergütet.
Konzeptionelle Zusammenarbeit, Unterstützung, Überwachung:
Die Untersuchungen wurden mit dem Stadthistoriker von Havanna und
Leiter der Restaurierung der Altstadt, Dr. Eusebio Leal Spengler, im
Rahmen der Gestaltung des historischen Stadtkerns als Modell eines
modernen kommunalen Lebensraums konzipiert. Sie werden vom Initiator der
Studie und dem Stadthistoriker gemeinsam überwacht. Das Büro des
Stadthistorikers leistet vor Ort unverzichtbare logistische
Unterstützung.
Studiendesign:
Die Studienteilnehmer wurden nach Erläuterung von Aufgabenstellung
und Studienablauf durch die beteiligten Familienärzte aus der Gruppe der
von diesen betreuten gesunden Personen auf freiwilliger Basis
rekrutiert. Jede Familienärztin warb 150 Personen. Die insgesamt 1.500
Studienteilnehmer wurden nach dem Zufallsprinzip in eine Untersuchungs-
und eine Kontrollgruppe von je 750 Personen aufgeteilt. Alle
unterzeichneten eine Einverständniserklärung zur Teilnahme, in der auch
die Möglichkeit problemlosen Ausscheidens aus der Studie zu jedem
Zeitpunkt garantiert wird. Die Teilnehmer wurden einer klinischen
Anfangsuntersuchung und anamnestischer Befragung unterzogen. Die
Mitglieder der Untersuchungsgruppe nehmen in Abständen von drei Monate
an salutogenetischen Konsultationen teil, die Mitglieder der
Kontrollgruppe nicht. Nach Ablauf eines Jahres wurden alle Teilnehmer
erneut klinisch untersucht. Gleiches ist für den Abschluss der Studie im
Februar 2013 vorgesehen. Die salutogenetischen Konsultationen werden im
zweiten Jahr unverändert fortgesetzt.
Salutogenetische Konsultationen:
Das Studienprotokoll enthält einen Fragespiegel zur Orientierung
personalisierter Gespräche über die individuellen und sozialen
Gesundeitsdeterminanten. Erfasst werden Ernährungsgewohnheiten,
körperliche Aktivität, Schlaf, psychisches Gleichgewicht, soziale
Aktivitäten, kulturelle Aktivitäten, familiärer Zusammenhalt, sozialer
Zusammenhalt, technischer und sanitär-hygienischer Zustand der Wohnung.
Toxische Gewohnheiten, Rauchen, Alkoholmissbrauch und sonstiger
Drogenkonsum werden in der Anamnese erfasst. Der Fragespiegel gibt eine
allgemeine Orientierung für die Gesprächsführung. Die ÄrztInnen sind
angewiesen, umsichtig und einfühlsam auf die individuelle Situation
jedes einzelnen Gesprächspartners einzugehen, sehr personenbezogen zu
kommunizieren, weder mit Abschreckung zu argumentieren, noch
Krankheitsängste oder Gesundheitshysterie zu schüren. Die Konsultationen
sollen praktische Hinweise zur Integration positiven
Gesundheitsverhaltens in die persönliche Lebensführung vermitteln, die
Entwicklung einer Kultur des täglichen Lebens fördern und Unterstützung
in Fragen der Verhältnisprävention geben. Von vordergründiger Fixierung
auf Krankheitsgefahren wird dringend abgeraten.
Datenerfassung:
Die Informationen werden mit mobiler Informationstechnologie erfasst (Netbooks Lenovo, 12''). Digitalisierung des Fragespiegel zur Gesprächsführung erlaubt eine technisch mühelose Datenerfassung, die die Kommunikation nicht beeinträchtigt. Ausser Gesundheitsdeterminanten und Gesundheitsdaten werden augenfällige Wirksamkeit, Indifferenz oder Zurückweisung der ärztlichen Empfehlungen, Wirksamkeit auf längere Sicht und Zeitaufwand für die einzelnen Konsultationen registriert.
Charakterisierung der Studienteilnehmer:
Studiengruppe n = 743 |
Kontrollgruppe n = 753 |
|
Altersbereich (Jahre) | 15 - 87 | 15 - 88 |
Durchschnittsalter (Jahre) | 40 ± 13 | 39 ± 13 |
Körpergrösse (cm) | 165,9 ± 9,2 | 166,0 ± 9,2 |
Gewicht (kg) | 66,0 ± 12,4 | 66,2 ± 12,6 |
BMI (kg/m²) | 23,6 ± 3,5 | 23,7 ± 3,8 |
weiblich | 447 / 60,2% | 429 / 57,0% |
männlich | 296 / 39,8% | 324 / 43,0% |
Raucher/innen | 252 / 33,9% | 260 / 34,5% |
Alkoholverzehr | 56 / 7,5% | 57 / 7,6% |
Zwischenauswertung
- Die Studie wurde von den beteiligten ÄrztInnen und der Leitung der Poliklinik mit grossem Interesse aufgenommen und seitdem sehr sorgfältig realisiert.
- Eine salutogenetische Konsultation fordert eine Gesprächszeit von 20 - 30 Minuten.
- Trotz dieses Zeitaufwandes wird das Vorgehen angesichts guter Resonanz und erhoffter Nützlichkeit für geeignet gehalten, in das ständige Leistungsspektrum der Familienärzte eingegliedert zu werden.
- Auch die passiven Teilnehmer haben die Studie sehr gut angenommen und halten sie für nützlich. Von den 1.500 Beteiligten schieden im ersten Jahr vier durch Todesfall oder Umzug aus. Teilnehmer der Kontrollgruppe protestierten gegen ihren Ausschluss von salutogenetischen Konsultationen.
- Die beteiligten ÄrztInnen haben wertvolle Vorschläge zur Verbesserung des Fragespiegels geliefert.
- Körpergewicht, BMI, Puls, RR haben sich im ersten Jahr der Studie nicht signifikant verändert, zeigen allerdings nur in der Studiengruppe für alle genannten Parameter eine leicht sinkende Tendenz.
- Signifikant sind in der Studiengruppe der Rückgang der Anzahl der Raucher um 11,5% (von 252 auf 223 Personen, p<0.0001) und der Zahl der Alkohol trinkenden Personen um 46% (von 56 auf 30 Personen, p<0.05).
Schlussfolgerungen:
- Die Studie wird planmässig und ohne nennenswerte Änderungen fortgeführt.
- Der Leitung der Poliklinik wird empfohlen, den Studienteilnehmern, ggfs. auch der Kontrollgruppe, nach Abschluss des zweijährigen Untersuchungszeitraums weiterhin bzw. künftig salutogenetische Konsultationen anzubieten und deren Langzeitwirkung zu verfolgen.
- Es wird empfohlen, salutogenetische Betreuung weiteren Bevölkerungsgruppen anzubieten, zunächst (a) Patienten derselben Poliklinik (bisher sind nur Gesunde einbezogen), (b) Senioren, (c) Schwangeren und Müttern mit Kindern im ersten Lebensjahr. In jedem Fall müssen die Orientierungen für die Gesprächsführung der Spezifik der dieser Bevölkerungsgruppen angepasst werden.
- Zum Zeitpunkt des Abschlusses dieser Kurzinformation ist die Auswertung der zur Zeit vorliegenden Daten noch nicht abgeschlossen. Information und Schlussfolgerungen werden vervollständigt, sobald die ausstehenden Ergebnisse des ersten Untersuchungsjahres vorliegen.
Belén REPORTAGE AUS KUBA Aus: In Kirche und Welt, Nr. 02/03 - 2008
Dieses merkwürdige kubanische Bethlehem
von Davide Malacaria
Das ehemalige Kloster von Belén ist zum Zentrum eines humanitären
Werkes geworden, das den Armen von Havanna gewidmet ist. Ein Werk, das
auch die Ortskirche mit Interesse und Sympathie betrachtet.
Seit halb acht Uhr morgens stehen sie vor der Pforte des ehemaligen
Klosters von Belén (Bethlehem) Schlange. Sie kommen aus Alt-Havanna, dem
Herzen der kubanischen Hauptstadt. Jenem herunter gekommenen
Stadtviertel, das zum Großteil aus baufälligen, einsturzgefährdeten
Häusern bestand. Doch dann hat Eusebio Leal Spengler, der Historiador de
la ciudad mit seinem Restaurierungswerk begonnen. Und dieser Teil der
kubanischen Hauptstadt ist zu einer Art Mega-Baustelle unter freiem
Himmel geworden. Die Menschen, die hier Schlange stehen, sind die Alten
Havannas, die ärmste und hilfsbedürftigste soziale Schicht. Jene, die am
schlechtesten gerüstet sind für den täglichen Überlebenskampf, der für
die Menschen hier schon am Morgen beginnt. Die Regierung garantiert
nämlich das so genannte libreta, eine Versorgung mit Grundgütern zu
symbolischen Preisen. Aber das ist nicht genug, um der sich immer mehr
ausbreitenden Armut Einhalt zu gebieten. Vom Problem Einsamkeit und dem
Verlassensein ganz zu schweigen. Das Leben dieser alten Menschen
erlischt langsam, sie leben in der ständigen Erwartung des beginnenden
Todes. Doch dann war da auf einmal diese Idee: Nelson Águila Machado
sprach mit Eusebio Leal Spengler darüber. So wurde Belén geboren. Ein
Gebäude war schon da: ein altes, verlassenes Kloster mit anliegender
(vor der Revolution) entweihter Kirche. Aber alles andere fehlte: das
nämlich, was inzwischen jeden Morgen ca. 700 alte Menschen anzieht.
Um acht Uhr morgens beginnt die Arbeit der Helfer für die vielen
Menschen, die sich vor ihrer Pforte eingefunden haben. Körperliche
Ertüchtigung steht auf dem Programm. Und tatsächlich beginnen Hunderte
von alten Menschen in den Straßen rund um das ehemalige Kloster – im
Innern ist nicht genug Platz – eifrig mit ihrer Morgengymnastik. Eine
Stunde später wird drinnen das Frühstück serviert – von anderen alten
Menschen, diesmal Freiwilligen, die sich an diesem einzigartigen
humanitären Werk beteiligen wollten. „L’Oficina de asuntos humanitarios
[Büro für humanitäre Fragen, Anm.d.Red.], unabhängiges Organ von
Historiador de la ciudad, wurde 1997 für die vielen Armen der Stadt ins
Leben gerufen,“ erläutert Nelson, Leiter dieses Büros. „Das alte
Kloster, das Tag für Tag all diese Armen aufnimmt, ist nur eine unserer
Aktivitäten. Wir haben noch andere Strukturen für alte Menschen, die so
genannten ‚geschützten Altersheime‘, und noch verschiedene Werke für die
Behinderten und die Kinder des Viertels. Ein Werk, das nach und nach
wachsen konnte, und dem wir uns tagtäglich widmen...“.
Auf den Stühlen in der alten Kirche sitzend nehmen die Alten ihr Frühstück ein – eine Mahlzeit, die sich viele von ihnen sonst nicht leisten könnten. Eine der Mitarbeiterinnen der Oficina (ca. 45 in Belén) führt mit ihnen eine angeregte Unterhaltung. Wie jeden Morgen werden auch heute Geburtstage gefeiert. Die Geburtstagskinder stehen auf und stellen sich in die Mitte des Saales: manche singen, andere wieder sagen ein Gedicht auf. Einer der Mitarbeiter, Elain, ein junger Mann im weißen Kittel, improvisiert sich hier nicht nur als morgendlicher Unterhalter (und vieles andere mehr) – er ist auch der Physiotherapeut des ehemaligen Klosters von Belén. Er geleitet uns in sein Büro, kann sich uns dann aber doch nicht lange widmen. Seine Patienten nehmen ihn ganz in Anspruch. Er wollte eigentlich Franziskaner werden, wie er uns erzählt, aber dann hat er sich doch für eine Familie entschieden. Etwas von dieser in jungen Jahren verspürten Berufung ist aber doch geblieben und zeigt sich in der Fürsorglichkeit, mit der er sich um seine Schützlinge kümmert, denen er sehr viel mehr Aufmerksamkeit widmet als uns aufdringlichen Journalisten... Von einem so fähigen Physiotherapeuten wie Elain will sich jeder behandeln lassen. Auch die Bischöfe, die diesem Ort, so reich an Menschlichkeit, nur allzu gerne ihren Besuch abstatten. Heute ist Mons. Ramón Suárez Polcari, Generalvikar von Havanna, nach Belén gekommen. Er erzählt uns, wie sehr er schätzt, was hier vollbracht wird.
Künstlerische Tätigkeiten, Papiermaché, Theater, Musik, Häkelarbeit,
Stimulierung der psychischen Prozesse (Gedächtnis-, Konzentrations-,
Sprachübungen)... sind nur einige der Dinge, die hier gefördert werden.
Am beliebtesten ist bei den Alten jedoch der von einem Zwillingspaar
geleitete Chor. Manche sind so begabt, dass sie gar keinen Kurs besuchen
müssten: ein Trio beispielsweise – zwei Frauen und ein Mann –, die ein
wenig abseits üben und traditionelle kubanische Klänge erschallen
lassen.
Jeder muss sich einer Sehkontrolle unterziehen und bekommt
dann, wenn nötig, eine Brille, die man sonst nur schwer auftreiben kann.
In Belén herrscht eine fröhliche Atmosphäre. Elisa kommt aus einer
zerrütteten Familie, hat einen Nervenzusammenbruch hinter sich. „Seitdem
ich hierher komme, brauche ich keinen Arzt und keinen Psychologen mehr,“
strahlt sie. Magali dagegen, der eigentlich keine großen Probleme hat,
hat hier Gastfreundschaft und Freunde gefunden: ein Zuhause. José
wiederum berichtet uns von seinem arbeitsreichen Leben als Bäcker, von
seinen Kindern, die Kuba längst den Rücken gekehrt haben. Er sagt, dass
er eigentlich zuerst nicht hierher kommen wollte, sich deswegen schämte,
weil ein Mann auch in Kuba schließlich ein Mann sein muss... Aber heute
ist er überglücklich darüber, sich doch aufgerafft zu haben. Er strahlt
übers ganze Gesicht. Hier hat er sich einer Alternativ-Therapie
unterzogen, um sich einen Fuß heilen zu lassen, der unter einer
merkwürdigen Pyramide aus Metalldrähten hervorschaut. Der Doktor erklärt
uns diese Methode, die auf dem Magnetismus beruht und mit der
verschiedene Pathologien erfolgreich behandelt werden können. Seitdem er
pensioniert ist, nicht mehr im Krankenhaus arbeitet, kommt er hierher,
um die Schmerzen seiner Altersgenossen zu lindern. Blanquida dagegen war
Sozialarbeiterin. Auch sie ist schon in Pension, ist eine der
Mitarbeiterinnen der Oficina, die den vielen Alten zur Seite steht, die
zu krank sind, um nach Belén kommen zu können. Bei ihnen macht sie
Hausbesuche. Dabei hat sie viel Schlimmes gesehen. Man tut in solchen
Fällen, was man kann, macht sauber, bringt etwas zu essen, je nachdem.
Geld ist hier in Belén leider Mangelware. Die hier geleistete Hilfe ist
dank ausländischer Spenden möglich. Gladys Martínez Noa, Assistentin
Nelsons, erzählt uns, dass man sich mit dem Gedanken trug, einige
Gebäude neben dem ehemaligen Kloster zu restaurieren. Auch Hotels für
die Touristen waren geplant. Von den Einnahmen wollte man Belén
finanzieren. Aber die von der EU erwarteten Fonds wurden auf Eis gelegt.
Das Embargo. Wie man hört, soll es dazu dienen, eine Diktatur zu
bekämpfen. Wenn es nicht so tragisch wäre, wäre es fast zum Lachen...
Auch Normita erzählt uns ihre Geschichte. Sie ist nun freiwillige
Helferin, leistet Telefondienst für jene, die nicht nach Belén kommen
können. Eine Form von „Hausbetreuung“ sozusagen.
Nelson erklärt uns,
dass auch die Kinder der angrenzenden Schulen nach Belén kommen – und
das dank zweier Projekte, die sie mit den Alten in Kontakt bringen: das
erste sieht vor, dass eine Klasse eingeladen wird, eine normale
Unterrichtsstunde im ehemaligen Kloster zu halten, mit dem Leben hier
also in Kontakt kommt. Beim zweiten dagegen werden die Kinder in die
Beschäftigungstherapien für die Alten miteinbezogen, beispielsweise in
den Gesangs- oder Gitarrenunterricht. Eine Art und Weise, auch auf die
Bedürfnisse der Kinder hier einzugehen, erklärt Nelson. Und ihnen
Schuhe, Brillen oder anderes zu geben, was sie nicht haben. Die Menschen
hier sind sehr arm. Heute kam eine Familie mit einem behinderten Kind.
Man hat ihnen einen Rollstuhl gegeben – was in Kuba, Schuld das Embargo,
eine wahre Rarität ist. Diese Familie ist keine Ausnahme. Jeden Tag
kommen viele Menschen von weit her, die irgendetwas brauchen und mit
Belén eigentlich nichts zu tun haben. Man tut, was man kann, aber es
scheint nie genug zu sein, sagen uns die Mitarbeiter des Zentrums ein
wenig resigniert.
Die Aktivität der Oficina ist jedoch nicht nur auf
das ehemalige Kloster beschränkt. Man begleitet uns in das so genannte
„geschützte Altersheim“: ein Altersheim mit Personal, der vor
eventuellen Einbrechern schützt. Es ist nicht das einzige, immer mehr
Häuser dieser Art werden geöffnet. William Fong, dem man seinen
chinesischen Großvater wirklich nicht ansieht, erklärt, dass ein
ähnliches Haus schon geöffnet wurde, zwei gerade gebaut werden und
weitere zwei geplant sind. Dasjenige, das wir uns ansehen, hat ein paar
Dutzend Insassen. Ida z.B., die uns berichtet, dass sie ihren Namen
einer italienischen Heiligen zu verdanken hat: der hl. Ida – die zwar
heilig, aber nicht wirklich Italienerin ist. Aber das kann Idas
Zuneigung für sie keinen Abbruch tun. Sie erzählt uns, dass sie allein
in einem großen Haus lebte, wo das Dach einzustürzen drohte. Auch sie
ist glücklich darüber, nun hier zu leben – genauso wie Pefita, die die
Wohnung gleich daneben hat (zwei Zimmer mit Bad, wie alle Wohnungen
hier). Sie leidet, wie man uns sagt, an psychischen Problemen. Hier gibt
es auch eine Apotheke, die nicht nur die Schützlinge der Oficina
beliefert, sondern auch die Leute aus dem Viertel. Ganz im Sinne von
Belén, diesem kleinen Zentrum der Menschlichkeit mitten in Havanna.
William erläutert uns die Projekte für die Jugendlichen. Jugendliche der
ganz besonderen Art, wie er meint. Oft mit einer schwierigen
Vergangenheit. Er hat zwei Fußballteams gegründet, betreut über 200
Jugendliche. Über den Fußball versucht er, sich Zugang zu ihnen zu
verschaffen, um ihnen helfen zu können. Heute Morgen ist er in
Alt-Havanna unterwegs, auf der Suche nach einer Sporthalle. Gerade das
ist nämlich hier das Problem: die Kinder haben keinen Platz zum Spielen.
Und schon ein Fußball – und da wären wir wieder beim Embargo – ist ein
Luxusgut.
Doch kehren wir wieder nach Belén zurück. Jeden
Freitag Morgen wird die Messe gefeiert. Eine katholische Messe, an der
die Alten des Hauses teilnehmen. Pater José Miguel, Pfarrer der nahen
Heilig-Geist-Kirche, der ältesten von Havanna, kommt jede Woche hierher.
Auch die Protestanten fühlen sich in Belén wie zu Hause. Und inzwischen
hat man – wie Elain erklärt – auch Kontakte zur nahen Synagoge
angeknüpft. Praktische Ökumene. Aber wir interessieren uns heute mehr
für diese einzigartige Messe. Einzigartig, weil ein von Kommunisten
geleitetes Büro den Priester eingeladen hat. Um die an das Kloster
angrenzende Kirche zumindest einmal in der Woche wieder zu der Stätte
werden zu lassen, an der Jesus Fleisch und Blut wird. Während er nach
der Feier zu seiner Unterrichtsstunde am nahen Seminar eilt, stellen wir
Pater José Miguel ein paar Fragen. Er berichtet uns, wie froh er darüber
ist, dass man ihm, der Kirche, diese Möglichkeit gegeben hat, hier die
Messe zu feiern – und dieses alte Gemäuer sozusagen wieder seiner
ursprünglichen Bestimmung zugeführt hat. Große Befriedigung empfindet er
auch angesichts der Tatsache, dass die Mitarbeiter der Oficina ihrem
humanitären Hilfswerk so auch einen spirituellen, christlichen Anstrich
geben wollten. Wir fragen, ob er glaubt, dass es solche Dinge hier noch
öfter geben könnte. Zugegeben, eine dumme Frage. Auf die zum Glück keine
dumme Antwort folgt: „Wichtig ist nicht, dass sich ähnliche Dinge
wiederholen. Wenn ja, sind sie natürlich willkommen,“ erklärt der Pater,
„aber nicht das ist der springende Punkt: wir hoffen, dass der Geist,
der hinter dieser Kollaboration steckt, wachsen und Wurzeln schlagen
kann.“
Mit energischem Schritt eilt uns der Pater voraus. Auch in
seiner Pfarrei ist ein kleiner Raum (Platz ist ein großes Problem) zur
Altenmensa umgewandelt worden. Auch hier werden eine Waschküche und
anderes zur Verfügung gestellt. Einfache Nächstenliebe, die die
humanitäre Gesinnung, von der das ehemalige Kloster Belén lebt, nicht
verschmäht, sondern froh darüber ist. So hat es ja auch tatsächlich den
Anschein, dass man hier in den Genuss jenes göttlichen Segens kommt, auf
den alle Menschen guten Willens zählen können.
Den Weg nach Belén
finden dann und wann auch Ordensschwestern. Die Brigittinnen von Mutter
Thekla Famiglietti, denen das Regime vor ein paar Jahren ein Kloster
ganz in der Nähe geschenkt hat. Sie helfen bei der Essensausgabe und
leisten den Alten Gesellschaft. Sie berichten, dass die Alten oft ihre
Ordenstracht berühren, die für sie etwas vom Wunderbaren des
Übernatürlichen hat.
Wir tun einfache Dinge,“ erzählt Sr. María, eine
Mexikanerin mit demütigem Blick: „Eine Gruppe der Alten von Belén kommt
einmal die Woche in unser Kloster zum Mittagessen. Gemeinsam mit anderen
Alten. Nach dem Essen gehen wir alle in die Kapelle, um zu beten...“.
Eine einfache Geste, in der das ganze Christentum liegt.
In Belén
finden heute die Chorproben statt. Die Chorleiter gestikulieren wild in
der Luft, Dirigenten der Stimmen, denen die Zeit nichts von ihrer
Schönheit nehmen konnte. Im Hintergrund können wir Pedro erkennen. Seine
Bewegungen sind elegant: er ist ein Tänzer, hat erst kürzlich einen
Tanzwettbewerb gewonnen. Auch seine Kinder leben nicht mehr in Kuba.
Irgendetwas – was, weiß nur er – lässt sein faltenreiches Gesicht
strahlen. Auch er ist sichtlich glücklich über diesen Ort der Freude.
Hoch oben an der Fassade der Klosterkirche befindet sich eine Statue
der Muttergottes mit Josef und dem Jesuskind – auch Ochs und Esel dürfen
nicht fehlen. Von ihnen werden alle empfangen, die das schwere
Eingangsportal durchschreiten. Im Innern, in der Apsis der Kirche,
befindet sich auch ein großes Kreuz, das sich niemand zu entfernen wagen
würde. Heute findet hier eine Versammlung statt. Die Verantwortlichen
der Oficina wollen ihre Aktivitäten ausweiten, die Dienstleistungen
verbessern. Ein Stück weiter hinten bedenkt eine kleine Statue der
Muttergottes von der Liebe die sie anflehenden Schiffbrüchigen mit einem
gutmütigen Lächeln. Sie steht immer dort, wie man mir erklärt. Und
scheint keineswegs fehl am Platz zu sein.