ILA / Kubas COVID-19-Strategien versus kapitalistischem Impfstoffimperialismus
Oktober 2022
Erschienen im Lateinamerika Magazin ILA 459
Zum ILA Heft: https://www.ila-web.de/ausgaben/459
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Über 500 Millionen Menschen haben sich bisher mit COVID-19 infiziert. Über 6 Millionen sind bisher an oder mit dem Virus gestorben. Arme trifft es mehr als Reiche, Farbige mehr als Weiße. Und das liegt nicht am Virus.
Was sind die Ursachen, was könnte die Lösung für eine gerechtere medizinische Versorgung sein? Desmond Tuto`s Traum war der „einer Welt, in der man stärker auf das Wohl des anderen bedacht ist, in der es mehr Mitgefühl gibt, in der Menschen mehr zählen als Dinge, in der sie wichtiger sind als der Profit.“ Bei dieser Betrachtung sieht der globale Norden, also die kapitalistisch geprägten reichen Länder, nicht gut aus. Man kann hier von einem Impfstoffimperialismus sprechen gegenüber einer gemeinwohlorientierten Medizin, wie sie in Kuba anzutreffen ist.
Westliche Impfstoffstrategien
Die Pharmakonzerne orientieren sich an den lukrativen Märkten im Norden. Sie sind an Gewinnen interessiert und an der Entwicklung von gewinnträchtigen Medikamenten, den Blockbustern, und deren Vermarktung, nicht an einer guten und ausreichenden Versorgung der Weltbevölkerung. Der Leitsatz „Wir sind nur sicher, wenn wir alle sicher sind“ , eine humanitäre Grundeinstellung und eine Verantwortung auch gegenüber den „Verdammten dieser Erde“ ist ihnen und unserer Politik fremd. Die USA mit Moderna, Deutschland mit BioNTech und England mit Astra Zeneca unterstützten ihre jeweiligen Platzhirsche bei der Impfstoffentwicklung mit Beträgen bis zu 1/2 Milliarde €. BigPharma schöpfte dann die Ergebnisse der mit hohen öffentlichen Mitteln geförderte Grundlagenforschung an Universitäten und medizinischen Forschungslaboren ab, benutzte und vermarktete sie und konnte dann die Preise für die Impfstoffe weitgehend selbst festsetzen und auch die Riesengewinne abschöpfen. So wurde der Bürger zweimal zur Kasse gebeten. Auch die COVAX-Initiative, ein Produkt der WHO und einem ihrer Hauptförderer, der Bill und Melinda Gates Foundation, hat sich als neoliberales Feigenblatt erwiesen, da die angebotenen Dosen, die teilweise von ärmeren Ländern gekauft werden mussten, längst nicht ausreichten und die Monopolbildung der Topproduzenten noch ausbaute. Insgesamt kann man sagen, dass die Pharmaindustrie kaum an der Entwicklung von neuen Impfstoffen interessiert ist, da dies zu risikoreich und damit zu wenig lukrativ ist. Nur die starken staatlichen Förderungen ließ sie bei dem Rennen mitmachen. Denn es kommt darauf an, einer der ersten zu sein und dann richtig Kasse zu machen, nach dem Motto „The winner takes ist all“. Deshalb bevorzugte man bei den Zulassungsstudien hilfreiche Bewertungskriterien wie *Schutz vor leichter Infektion, nicht vor Krankenhausaufenthalt und Tod, *Verkürzung des Abstands der Zweitimpfung auf 4 Wochen(Moderna und BiOntech/Pfizer), *ältere Menschen, Risikopatienten in den Studien waren unterrepräsentiert.
Pfizer/BiOntech, unerfahrener Newcomer im Impfgeschäft ebenso wie Moderna, bekam am 11.12.2020 als erstes Unternehmen die Notfallzulassung und gewann das Rennen. Unternehmen mit der größten Erfahrung und den größten Produktionskapazitäten wie Merck und GSK- Sanofi zogen sich zurück, ein Schritt, der letztlich eine Verknappung der Impfstoffe bewirkte.
Die nicht leicht zu erfüllenden WHO- Kriterien für Impfstoffe sind im Target Product Profile, TPP, aus dem Jahre 2020 festgelegt). Und die gängigen Impfstoffe verfehlten sie teilweise krachend :
- Eignung für alle Altersgruppen, auch für Kinder und gebärfähige Frauen
- Keine schweren Nebenwirkungen
- Wirksamkeit mindestens 70%
- Einmalige Verabreichung
- Schutz für ein Jahr oder länger
- Stabilität bei höheren Temperaturen
- Schnelle Produktion in ausreichenden Dosen
- Verfügbarkeit zu niedrigen Kosten
Kubas Impfstoffpolitik
Für Kuba war die Pandemie nicht nur eine harmlose Erkältung wie in Trump´s USA oder Bolsonaro´s Brasilien sondern von Anfang an eine ernsthafte Bedrohung. Bereits im Januar 2020 ergriff Kuba Maßnahmen und Schulungen bezüglich der zu erwarteten Pandemie auf allen Ebenen. Kubanische Spezialisten reisten nach China, um zu helfen und sich zu informieren. Und es wurden früh Arbeitsgruppen eingerichtet wegen der notwendigen Labortests, Therapien und der Entwicklung von Impfstoffen. Zu allen Zeiten gab in Kuba eine exzellente Informationspolitik zum Pandemiegeschehen, dann einen längeren Lockdown sowie tägliche Visiten durch Familienärzt*innen und Medizinstudent*innen in ihrem Sprengel.
Kuba hat bisher 5 Impfstoffe aus 2 Linien entwickelt. Alle sind Proteinimpfstoffe und alle wurde in enger Zusammenarbeit der wichtigsten staatlichen Institute in einer großen Kraftanstrengung entwickelt. Es sind die einzigen Impfstoffe Lateinamerikas und die einzigen Impfstoffe eines Entwicklungslandes weltweit. 1. Die Soberana- Reihe (Soberana 01 und 02 sowie Soberana plus) wurde in nationaler Zusammenarbeit von dem Finlay- Impfinstitut, der Universität von Havanna und dem CIM (Centro de imunología molecular, Zentrum für molekulare Immunologie) entwickelt. Plattform ist der eigene Meningokokken B Impfstoff, als Antigen hat man rekombinante Spikeproteinanteile genommen. 2. Die Abdala-Mambisa-Reihe wurde im Zentrum für Gentechnik und Biotechnologie–CIGB entwickelt. Plattform ist der eigene Hepatitis B- Impfstoff, als Antigen dienen ebenso rekombinante Spikeproteinanteile. Mambisa war einer der ersten nasalen Impfstoffe. Jetzt ist er in Kuba in der klinischen Prüfung. Er soll als Booster eingesetzt werden. Im Juli/ August 2022 informierte die Leitung von BioCubaFarma über den Entwicklungsstand eines neuen Impfstoffkandidaten gegen Omikron. Spikeproteinanteile als Antigene waren bisher an den Beta- und Delta-Stämmen orientiert. Über 90 % der Bevölkerung in Kuba sind 3x geimpft, auch Kinder ab 2 Jahren. Über 70 % sind mindestens 1x geboostert. Die kubanischen Impfstoffe haben eine hohe Effektivität von über 90% und geringe Nebenwirkungen. Sie sind verantwortlich für sehr geringe Erkrankungsraten trotz des wieder aufgenommenen Tourismus und für eine ganz geringe Letalitätsrate durch COVID-19.
https://www.worldometers.info/coronavirus/#countries
Hinzu kommt, dass in Kuba über 20 Wirkstoffe zur Therapie zugelassen sind, darunter auch homöopathische und pflanzliche. Itolizumab, ein monoklonaler Antikörper, ist wirksam gegen eine fatale Überreaktion des Immunsystem („Zytokininsturm“) und hat sogar Testphasen in den USA und Brasilien. Hinzu kommt das hohe Vertrauen der Bevölkerung in die eigene Medizin, das medizinische Personal und eine Regierung, die sich bei Katastrophen wie Hurricans und Seuchen wie Dengue oder Cholera bewährt hat und immer für alle Kubaner*innen da war. Zum Einsatz kamen kubanische Impfstoffe bisher im Iran, in Nicaragua, Mexiko, Vietnam, Argentinien und Venezuela. Großes Interesse hat auch die WHO wegen der Stabilität, der Kosten und der Wirksamkeit der kubanischen Impfstoffe, auch bei der Omikron- und Deltavariante. Kuba ist zu einem umfassenden Technolgietransfer in die Länder des Südens bereit, einschließlich einer dortiger Impfstoffproduktion. Dies steht im krassen Gegensatz zu den reichen Industrieländern, die nicht zu einem Aussetzen ihrer Patentrechte und Weitergabe ihres Knowhows bereit sind. Kubanische Forscher und chinesischen Wissenschaftlern arbeiten in Yongzou in der Provinz Hunan an neuen Vakzinen gegen weitere mögliche Virusvarianten. Die Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO) hat die Entwickler der kubanischen Impfstoffe kürzlich mit der WIPO-Medaille für Erfinder ausgezeichnet.
Für die Entwicklung und die Produktion der Impfsera und die Impfung hat Kuba etwa 50 Prozent des kubanischen Gesundheitsbudgets ausgegeben mit der Folge, dass die medizinische Basisversorgung gelitten hat und noch leidet. Hinzu kommen die fehlenden Einnahmen durch den Wegfall des Tourismus und die brutale Blockadepolitik der USA, die selbst in Pandemiezeiten die Daumenschrauben weiter anzogen, die Lieferung von Beatmungsgeräten, Schutzkleidung Medikamenten, Geräten und medizinischen Verbrauchsmaterialien, selbst von Treibstoff behinderten und teilweise auch verhinderten. Kuba war und ist in diesen Zeiten sehr von der solidarischen Hilfe befreundeter Staaten abhängig und auch von der unermüdlichen Unterstützung der weltweiten Solibewegung, die zu Kubas Überleben nicht unerheblich beigetragen hat. Besonders erwähnenswert ist hier die Initiative des europäischen Netzwerkes mediCuba-Europa, die die Unterstützung aus Europa in den letzten Jahren wesentlich getragen und koordiniert hat und immer noch aktiv ist.
Als deutscher Vertreter von mediCuba-Europa (MCE) bietet die Humanitäre Kuba Hilfe e.V.- HCH auch eine Überweisungsmöglichkeit an MCE auf das HCH-Konto mit Spendenbescheinigung an. Spendenkonto der HCH e.V. bei der Sparkasse Dortmund
IBAN: DE52 4405 0199 0091 0160 36, BIC DORTDE33XXX
Stichwort: MCE–Projekte via HCH
Was Kuba aber am meisten helfen würde, wäre eine Aufhebung der US-Blockade, damit Firmen ohne Angst vor US-Sanktionen in Kuba investieren, Banken ohne Probleme wieder finanzielle Transaktionen mit Kuba durchführen können. Denn die USA kontrollieren auch die Finanzströme und bestrafen ebenso die Banken, die den Zahlungsverkehr mit Kuba abwickeln. Die französische Bank BNP Paribas zahlte 2014 die Rekordsumme von fast 9 Milliarden Dollar Strafe an die Finanzbehörden der USA, um ihr US-Geschäft nicht zu verlieren und um eine Beschlagnahmung ihres US-Vermögens in den USA zu vermeiden.
Auch müsste ein wissenschaftlicher Austausch wieder möglich sein und Kuba müsste v.a. seine hochwertigen medizinischen Produkte weltweit vermarkten können.
Dr. med. Klaus Piel
Vorstand HCH und mediCuba-Europa
hch-ev.de
#CubaPorLaVida