"Kubas Impfsensation"
03. November 2021
„Kubas Impfsensation“ titelte die „Welt“ am 26.10.2021. Und weiter: „Binnen weniger Wochen hat es Kuba offenbar geschafft, beim Impfen locker die USA und Deutschland zu überholen. Das Einmalige: das Land hat zwei eigene Impfstoffe entwickelt, von erstaunlicher Qualität. Nicht der ideologische Rivale USA, auch nicht die bisher als Impfchampions gehandelten Chile oder Uruguay führen die Tabelle der Länder Amerikas an, die ihre Impfkampagne am weitesten vorangetrieben haben. Spitzenreiter in dieser Wertung ist inzwischen die sozialistisch regierte Karibikinsel Kuba, die einen ganz eigenen Weg gegangen ist. Havanna setzte von Anfang an alles auf selbst entwickelte Impfstoffe, deren Autorisierung und Zulassung über eigene nationale Institute erfolgte.“
Natürlich dürfen bei einem solchen Lob entsprechend negative Töne gemäß der Ausrichtung des Blattes nicht fehlen. Da ist vom Regime die Rede, von Kubas Machthabern, vom Ein-Parteien-System, von einem pathetischen Díaz-Canel und von befreundeten Diktaturen wie Nicaragua und Venezuela. Das Angebot von US-Präsident Joe Biden, Impfmittel zu spenden, habe Díaz-Canel ignoriert, so die „Welt“. Welches Angebot? Die Impfinitiative COVAX hat Impfstoffe an Venezuela geliefert, obwohl die US-Regierung dieses Land ausdrücklich von ihren bilateralen Impfstoffspenden ausschloss. Und wie wäre es Kuba ergangen? Was wäre der Preis gewesen? Und natürlich fehlt auch nicht der Hinweis auf die für den 15. November geplanten „Sozialen Proteste“, die von Kubas Regierung verboten worden seien. Das musste einfach mit rein, die „Welt“ hat schließlich einen Ruf zu verlieren.
Natürlich unterschlägt die „Welt“, dass der geplante provokative Marsch von den Kontras in Miami und der US-Regierung unterstützt und finanziert wird. Ebenso fehlt der Hinweis, dass man plant, durch die Anwendung von Gewalt und Verletzung von Gesetzen eine Reaktion der kubanischen Ordnungskräfte herbeizuführen, die dann als Beweis für die Unterdrückung des Freiheitswillen des kubanischen Volkes durch das diktatorische Regime dienen soll und als Grund für eine weitere Verschärfung der Blockade. Auch in der EU werden entsprechende Szenarien derzeit politisch vorbereitet und gepostet, weltweit weitere Protestmärsche als Teil dieser konzertierten Aktion organisiert und finanziert.
Aber an Kubas Erfolgsgeschichte der Entwicklung von COVID-19- Impfstoffen, der Impfgeschwindigkeit und der erreichten Impfzahlen- und darum geht es ja eigentlich- kommt auch die „Welt“ nicht vorbei.
Klar hatte es bei der Entwicklung entsprechender Impfstoffe und bei ihrer Produktion Verzögerungen gegeben, weil einfach das Geld fehlte, Spritzen, Kanülen und wichtige Filter, Laborgeräte u.a.m. auf dem Weltmarkt bei der knüppelharten Blockade der USA zu besorgen. Hinzu kamen noch fehlende Einnahmen durch den Wegfall des Tourismus und horrende Ausgaben bei Schutzkleidung, Beatmungsgeräten, Medikamenten und Coronatests.
Grafik 1: Anteil der vollständig
Geimpften
Quelle OWID,
Link
Hier konnten befreundete Länder wie v.a. Russland, China und Mexiko sowie die weltweite Solidaritätsbewegung helfend eingreifen. Aber klar ist auch, dass Kuba jetzt mehr als 30 Millionen Impfdosen aus eigener Produktion zur Verfügung hat und jetzt auch schon Kinder ab 2 Jahren nach entsprechenden klinischen Studien impfen kann. Und Kuba ist jetzt dabei, sich an die Spitze der nationalen Impfraten zu setzen (s. Grafik 1).
Erkrankungen in Kuba und Lateinamerika
Obwohl nur 8,4 Prozent der Weltbevölkerung in Lateinamerika und der Karibik leben, gab es dort fast ein Drittel der weltweiten Todesfälle, obwohl die Bevölkerung dort deutlich jünger ist als in den Industriestaaten. Besonders negativ schneiden hier Brasilien und Peru ab. Auch hängt die Zahl der Todesfälle nicht vom Bruttoinlandsprodukt ab sondern vielmehr von der Qualität und der Resilienz der Gesundheitssysteme, die hier häufig unterbesetzt und unterfinanziert sind, ferner vom Grad der sozialen Ungleichheit und von der Verfügbarkeit von Impfstoffen, um nur einige Punkte zu nennen. Wie alle Statistiken zeigen, schneidet Kuba hier trotz großer Beschaffungs- und Finanzierungsprobleme sehr gut ab (Grafik 2-4 aus https://www.worldometers.info/coronavirus/#countries**). Lagen die Erkrankungsrate Ende August in ganz Kuba noch bei bis zu 10 000 Personen/Tag, fielen sie jetzt bis heute erfreulicherweise auf 633 Fälle/Tag stark ab, ähnlich sanken die Sterberaten von 100 auf 4 Fälle/Tag.
Grafik 2: Tägliche neue Corona Fälle auf Cuba
Grafik 3: Tägliche neue Corona Tote auf Cuba
Grafik 4
Langsame Normalisierung und Ausblick
Inzwischen beginnt sich die Lage in Kuba weitgehend zu normalisieren. Die Schulen kehrten ab dem 4. Oktober nach und nach zum Präsenzunterricht zurück, abhängig vom lokalen Infektionsgeschehen. Auch der Tourismus als Kubas Wachstumsbranche wird noch im November wegen der günstigen Pandemieentwicklung und der hohen Impfraten wieder hochgefahren. Auch die Gastronomie ist wieder zunehmend geöffnet, Taxis und der ÖPNV nehmen wieder ihren Normalbetrieb auf. Auf der Habenseite ist auch die zunehmende Vermarktung von Kubas Impfstoff zu finden. Länder wie Vietnam, Venezuela und der Iran sind erste Abnehmer. Leider sind in der Pandemie die Preise und leider auch der Schwarzmarkt (Angebote oft via Facebook und WhatsApp) in Kuba explodiert, was zu langen Warteschlangen und oft frustranem Anstehen führt und natürlich Missmut und Kritik zur Folge hat. Hoffen wir, dass Kuba in Bezug auf die Pandemie und die wirtschaftliche Talfahrt das Schlimmste hinter sich hat und auch den Schwarzmarkt in den Griff bekommt. Die Sorge bleibt, dass sich neue SARS-CoV-2-Mutationen auch in teilweise immunisierten Bevölkerungen wieder stark ausbreiten können. Denn es gibt keine nationale Lösung für eine Pandemie. Solange SARS-Cov2 in irgendeinem Teil der Welt grassiert, wird es weiter mutieren und so die Wirksamkeit von Impfungen und anderer Maßnahmen gefährden. Der Kampf gegen Infektionskrankheiten ist also ein Problem, das nur von allen gelöst werden kann. In diesem Sinne ist die vom DAAD geförderte Initiative "Deutsch-Lateinamerikanische Zentrum für Infektions- und Epidemiologieforschung und Training" (GLACIER), die darauf abzielt, „das gegenseitige Lernen und den Wissensaustausch zwischen Universitäten und Forschungszentren in Deutschland, Kuba, Mexiko und ganz Mittelamerika zu fördern“, ein richtiger Lichtblick.
Klaus Piel 2.11.021