Erste Begegnung mit Kuba (05-1999) - ein Reisebericht von Dr. med. H. Querfurt
Die Dame am Schalter der LTU sinkt immer weiter auf ihrem Stuhl zusammen,
als wir mit einer geballten Ladung von 3 Trollis, zusammen 19 Paketen,
6 Koffern und Reisetaschen und 3 Fahrrädern bei ihr einchecken wollen.
Dies ist ihr Gipfel des "Late-Night-Check-in" am Düsseldorfer Flughafen
und wir sind unser Gepäck (darunter die videoendoskopische OP-Anlage
für die Kinderklinik, die restlichen Endoskopiegeräte für das Leninhospital,1
486er Computer, große Mengen von Medikamenten, Geschenke...)schon am
Vorabend los , aber auch 500 DM für das humanitäre Übergepäck.
Am
20. Mai 1999 morgens starten wir nach Kuba. Was wird mich dort erwarten?
Mexico und einige andere Staaten Lateinamerikas kannte ich ,wenn es
auch schon 7 Jahre her ist, daß ich das letzte Mal dort war und mein
Spanisch inzwischen gut eingerostet ist. Lateinamerikanisch wird es
schon sein , das Kuba, das ich jetzt zusammen mit Klaus u. meinem Sohn
Alex besuchen will, aber was sonst noch? Die Reiseführer geben darauf
recht unverbindlich und allgemein Auskunft. Lesen ist doch etwas anderes
als selbst erleben. So starten wir drei zusammen mit 200 Urlaubern
und landen um 15 Uhr Ortszeit nach ruhigem Flug sicher in Holguin. Als
wir das Flugzeug verlassen, erwartet uns eine Brutkammer, 32 Grad, bedeckter
Himmel und schwül. Zum Glück, denke ich, ist jetzt Regenzeit , dann
brennt die Sonne nicht jeden Tag so heiß. Und so verhält sich das Wetter
in den folgenden Tagen auch, überwiegend bedeckt, zeitweilig starke
Regenschauer und nur in den letzten zwei Tagen dann echt kubanisches
Wetter mit viel Sonne.
Als wir auf das Rollfeld treten, um
zum Flughafengebäude zu gehen, sehen wir bereits auf der Galerie ca.10
winkende Menschen, die uns schon erkannt haben und uns "kubanisch" begrüßen.
Nach den Zollformalitäten im neuen Abfertigungsgebäude geht es ohne
Probleme durch den Zoll. Die Spendenpakete werden am nächsten Tag vom
ICAP dort ausgelöst. Patricia Meyborg , Bernd Kiefaber, der eine
halbe Stunde zuvor mit der Martinair gelandet ist, Roberto u. Reinaldo
vom ICAP begrüßen uns als erste. . Der Weg in die Stadt führt
uns ins Büro des ICAP (Instituto Cubano del Amistad entre los Pueblos)
einer Institution, die u.a. auch für die Verteilung von Spenden in Kuba
zuständig ist. Roberto, der örtliche Leiter in Holguin, heißt uns willkommen
bei einem guten Schluck kubanischen Biers. Nur dies eine Mal wage
ich es, nach einem Glas Wasser zu fragen. Robertos Gesichtsausdruck
signalisiert ein derartig ungläubiges Staunen wegen dieses wohl offensichtlich
abartigen Wunsches, daß ich schon nach dem ersten Glas auf Bier umsteige.
Zu Hause eher ein Weintrinker werde ich in Kuba dann gründlich auf Rum
und Bier umgeschult. Als Ausdruck des höchsten Service in verschiedenen
Lokalitäten steht die geöffnete Bierflasche dann auch schon ohne jede
Anforderung blitzschnell vor mir. Egal, ob ich will oder nicht.
Roberto erklärt uns, daß wir Gäste des ICAP seien und das ICAP für
unsere Betreuung während unseres Aufenthaltes zuständig sei . Es wird
ein Programm für die nächsten Tage gemacht. Dieses Programm beginnt
mit 5 Terminen, die von unserer Seite aus gewünscht werden. Im Laufe
der Tage entwickelt sich jedoch eine Eigendynamik, so daß im Endeffekt
von uns 17 bis 20 Termine oder Einladungen zum Essen innerhalb von 7
Tagen absolviert werden. Meine Freude über das schöne Hotel Los Bosques
mit dem großen Swimmingpool hält nicht lange vor. Zwei Mal nur gelingt
es mir in der gesamten Zeit, den schönen Swimmingpool zu
benutzen, da der Rest der Zeit mit Terminen verplant ist. Es wird
der Terminkalender eines "Staatsbesuchs". Dies ist natürlich das Ergebnis
der jahrelangen Arbeit der "Humanitären Cuba Hilfe" ( HCH ) und
auch nicht negativ, da es uns in dieser Woche gelingt, viele Kontakte
neu zu knüpfen, alte Kontakte zu intensivieren und viele Einblicke ins
kubanische Gesundheitswesen zu bekommen. Stressig ist es trotzdem. Aber
erholen kann ich mich ja zu Hause?!
Besonders hervorzuheben ist
die Gastfreundschaft, die uns seitens der befreundeten Familien und
insbesondere Patricias entgegengebracht wird, so daß ich mich zu jedem
Zeitpunkt der Reise wie zu Hause fühle. Insbesondere das gute deutsch-kubanische
Frühstück, das Patrizia jeden Morgen und einmal sogar um 5:00 Uhr morgens,
uns serviert, sorgt stets für einen guten Tagesbeginn. Café cubano,
Früchte, Salat, Brötchen aus dem Dollarladen und ein wenig deutsche
Marmelade ergeben die handfeste Grundlage für einen arbeitsreichen Tag.
Besonderer Dank gilt auch Roberto und Reinaldo, die uns zu allen
Terminen in dem von der HCH gespendeten Ford Sierra fahren und ohne
deren Hilfe wir das Programm nie geschafft hätten. Reinaldo als
Fahrer fährt in der Stadt durchaus vorsichtig, über Land entdeckt
er jedoch das Gaspedal, wie die meisten kubanischen Fahrer. Gut auch,
daß ein Autoradio eingebaut ist und für unsere Unterhaltung sorgt. Ab
und zu schweigt es, aber dann haben wir ja noch Roberto, der mit seiner
schönen Stimme uns singend unterhält. Musik liegt in Kuba halt ständig
in der Luft.
Am 21.5. morgens machen wir einen Stadtbummel und besuchen einen der kleinen Bauernmärkte, wo frisches Obst und Gemüse verkauft wird. An diesem Tag gibt es Möhren, Zwiebeln, Tomaten, Kartoffeln und ein wenig Obst. Die rechtwinkligen Straßenzüge, mit den relativ gut instand gehaltenen Straßen, ermöglichen eine rasche Orientierung. Der Transport in der Stadt wird viel von sog. Bici-Taxis (Fahrräder mit Beiwagen), Pferdedroschken und nur zu einem geringen Teil mit Taxen oder Bussen abgewickelt.
Unser erster Besuch gilt dem "ANSOC", der Vereinigung der kubanischen
Taubstummen. Hier hat sich die HCH mit ca. 600 $ engagiert; entstanden
daraus ist eine sehr ansprechende Begegnungsstätte für die Taubstummen
mit einer schönen großen Halle und einem netten Innenhof. Dieses Projekt
ist jetzt fast abgeschlossen. Einige kleinere Wünsche bleiben noch offen.
Hier werden noch gebraucht: ein Schreibprogramm für den neuen von uns
gespendeten Computer, Disketten, Büromaterial, ein Kühlschrank und ein
Gasherd für die Küche. Als Anerkennung unserer Arbeit werden von Präsident
Carlos selbst gemachte Puppen überreicht, die mit Phantasiekostümen
aus Gardinenstoff versehen sind. Eine Puppe hat eine gehäkelte Tracht,
da die Gardinenstoffe ausgegangen sind. Carlos bittet deshalb um
Gardinenstoff für weitere "echt kubanische" Puppen.
Obligatorisch,
wie bei jedem Empfang in Kuba, gibt es Essen und Trinken, meistens
Café cubano und ein belegtes Brötchen, und natürlich ziert die Amtsstube
ein Portrait von Ché.
Fidel wird vergleichsweise in den vielen offiziellen
Räumen, die wir besuchen, eher selten gesichtet.
Am späten Vormittag geht es weiter zum Universitätskrankenhaus Lenin.
Die Begrüßung erfolgt durch den derzeitigen Direktor Dr. Otto Reyes-Canell.
Im persönlichen Gespräch mit der Apothekerin kann ich mich von
ihrem hohen Fachwissen überzeugen, wie ich überhaupt an allen Stellen
qualifizierte Kollegen und Krankenschwestern antreffe. Das Fachwissen
ist nicht das Problem in Kuba. Das Problem im Gesundheitswesen ist das
nicht vorhandene Material. Wir übergeben die mitgebrachten Endoskope
(Gastroskop, Kolonoskop, Bronchoskop, Cystoskop mit umfangreichem urologischen
Zubehör) sowie die Sachspenden, in erster Linie Medikamente. Insbesondere
die Antibiotika werden sehr dankbar aufgenommen; Penicillin, Cephalosporine
und Chinolone sind chronische Mangelware, so daß jeden Tag am Lenin-Krankenhaus
eine sog. Antibiotikakonferenz stattfindet, in der sich die Chefärzte
gegenseitig ihre schweren Fälle vorstellen, um dann zu entscheiden,
welchem Patienten welches Antibiotikum gegeben wird und wer nichts erhält.
Ein für deutsche Verhältnisse unvorstellbarer Zustand.
Das gesamte
Krankenhaus macht einen sehr sauberen Eindruck. Es ist jedoch überflutet
von Patienten. Man hat das Gefühl, es tobt Chaos auf allen Ebenen. Trotzdem
herrscht im größten Betrieb Ruhe von allen Seiten, von den Patienten,
wie den Pflegern, von den Schwestern und Ärzten. Ein lautes Herumschreien
habe ich in keinem Krankenhaus gehört.
Um 14. 00 Uhr ist der nächste Termin. Diesmal beim "Director
Provincial De Salud" (entsprechend unserem Landesgesundheitsminister
) Alfredo Gonzales Lorenzo. Alfredo war früher Direktor des Lenin-Hospitals
und bekleidet seit einigen Monaten diese neue Position. Von Haus aus
ist er Neurochirurg. In einem gut einstündigen Gespräch bedankt
er sich herzlich für die bisherige Arbeit der Cuba Hilfe und legt uns
2 Projekte besonders ans Herz, die wir in Zukunft doch unterstützen
möchten. Das eine ist der Neubau des Hospitals in Banes (Einzelheiten
siehe später). Das zweite ist ein EDV-Netz zwischen den wichtigsten
Krankenhäusern, einschließlich Internet-Zugang, um medizinisches Fachwissen
für die kubanischen Ärzte schnell verfügbar zu machen(dadurch können
die Abo-Kosten für Fachzeitschriften minimiert werden). Dazu besteht
ein ganz konkretes Projekt, für das 8 Computer und Zubehör gebraucht
werden.
Darüber hinaus bittet er um Fortsetzung der Kooperation
im Bereich der Dialyse, was für die Ostprovinzen Kubas eine große Hilfe
darstellt.
Auch dieses Gespräch verläuft in herzlicher Atmosphäre
und offen. Es ist nicht selbstverständlich, daß ein stolzes Volk, wie
die Kubaner es sind, um Hilfe an bestimmten Punkten im Ausland bittet.
Ich glaube, daß dazu eine enorme Überwindung gehört. Im Interesse der
kranken Menschen werden uns aber dann die Wünsche und Notwendigkeiten
vorgetragen. Darin ist auch ein enormer Vertrauensbeweis in die
Arbeit der HCH zu sehen.
Am 22.5. einem Samstagmorgen besuchen wir das neue Klinikum mit großer chirurgischer Unfallklinik, die vor den Toren von Holguin neu gebaut wird, ein 900 Betten Krankenhaus, finanziert weitgehend von den Geldern, die aus dem Tourismus eingenommen wurden. Derzeit befinden sich 350 Betten bereits in Betrieb. Sie ist geplant als zentrale Unfallklinik für den Osten Kubas, speziell für polytraumatisierte Patienten. Von den geplanten 10 Operationssälen arbeiten bereits 5. Die medizintechnische Ausstattung ist neu: So existiert ein Computertomograph (der einzige im Osten Kubas ) und eine Gammakamera, ein Kernspintomograph befindet sich im Aufbau. Zentral für die gesamte Region wird hier auch die Neurochirurgie und eine Verbrennungsabteilung aufgebaut, ferner die Gynäkologie und die Geburtshilfe, eine große Dialyseabteilung und internistische Fachabteilungen. Die Patientenzimmer sind mit 3 bis 6 Betten (für kubanische Verhältnisse sind 15 bis 21 Betten normal) relativ klein. Hier wird uns mit Stolz die von uns gespendete Krankenhausküche vorgeführt, die voll funktionstüchtig, für die Versorgung von Patienten und Personal, arbeitet. Mit dem Chef Dr. Roberto Ramos Collon verabreden wir Hilfe beim Einkauf weiterer Medizintechnik. So wird dringend in diesem Krankenhaus ein Angiographiemeßplatz und eine Echokardiographie gebraucht. Darüber hinaus ein Trepanationsbesteck, sowie Ausrüstung für Rehabilitation (es gibt 5 Räume für Physiotherapie aber keinerlei Ausrüstung ) und Gastroenterologie.
Bereits am Vortage hat uns Roberto darauf aufmerksam gemacht, das am Samstag um 17:00 Uhr ein sog. "ACTO" stattfinden solle bei der Provinzregierung, und daß erwartet wird, daß Klaus auch etwas sagt. Worum es sich handelt, teilt uns niemand mit. Also wird eine allgemein gehaltene Rede von uns, insbesondere von Klaus vorbereitet, in der die Arbeit der Kubahilfe dargestellt wird. Wir werden dann zum offiziellen Empfangssaal der Provinzregierung gebracht, der in eine große Denkmalsanlage integriert ist. Alles beginnt mit der kubanischen Hymne und einer anschließenden Rede der Parlamentspräsidentin der Provinz. Darin wird die Arbeit der "humanitären Kubahilfe" (HCH) ausführlich gewürdigt, nicht nur wegen ihres hohen materiellen Wertes, sondern insbesondere auch als Akt der Solidarität und dem für sie wichtigen Wissen, daß Kuba Freunde in der Welt hat. Lobend hervorgehoben wird die gute Zusammenarbeit der HCH mit den Krankenhäusern in Holguin. Als Dank für die Arbeit in der Vergangenheit wird Klaus Piel dann das "Hacha von Holguin" überreicht vom Gouverneur der Provinz Holguin persönlich. Hierbei handelt es sich um die höchste Auszeichnung, welche die Provinz Holguin zu vergeben hat. Und Klaus Piel ist der erste Ausländer, der diese Auszeichnung erhält. Betont wird dabei, daß er als Repräsentant der HCH ausgezeichnet wird. Bei dem "Hacha" handelt es sich um eine vorkolumbianische Steinaxt, die in der Nähe von Holguin ausgegraben worden ist und im Museum in der Nähe von Banes besichtigt werden kann. Diese Originalnachbildung wird in einem kleinen Holzkasten überreicht. Insgesamt ein erhebender und feierlicher Augenblick, der auch einen Durchbruch in der Arbeit der "humanitären Kubahilfe" bedeutet, da mit dieser Auszeichnung von höchster Stelle der Wert der Arbeit anerkannt wird. Darüber hinaus wird Patricia als offizielle Repräsentantin der Gruppe jetzt auch durch den Provinzgouverneur akzeptiert. Ich glaube, dieser "Acto" wird in Zukunft unsere Arbeit in Kuba wesentlich erleichtern. Es schließt sich ein offizieller Empfang mit kleiner "Stehparty" an, wobei viele informelle Gespräche geführt werden können. Natürlich sind Presse und Fernsehen anwesend. Ein Fernsehbericht wird in ganz Kuba über diese Auszeichnung ausgestrahlt. Die Zeitungsberichte kommen erst nach unserer Abreise. Ich hoffe, daß Patricia sie uns mitbringt.
Der Sonntag (23.5.) war als Ruhe- und Strandtag gedacht. Da die Strände
von Guardalavaca ganz in der Nähe von Banes liegen, wird jedoch
eine Besichtigung des Hospitals in Banes eingeschoben. Zunächst geht
es zum Rathaus, wo uns die Bürgermeisterin und 2 Spezialisten für das
Gesundheitswesen des "municipio" bei einem café cubano mit vielen Details
aus dem medizinischen Bereich versorgen und uns später auch bei der
Besichtigung begleiten. Den "Problemfall Banes" hat uns der Gesundheitsminister
ja besonders ans Herz gelegt. Mit dem Neubau des Krankenhauses
wurde bereits begonnen; die Fundamente werden zur Zeit gegossen. Der
Neubau wird notwendig, da das alte Krankenhaus (es handelt sich um ein
Holzkrankenhaus aus der Jahrhundertwende) nicht mehr zu sanieren ist.
Im alten Krankenhaus mit seinen 96 Betten arbeiten 26 Ärzte und 63 Krankenschwestern.
Das neue Krankenhaus soll 140 Betten haben. Zusätzlich zur vorhandenen
Fachabteilung werden eine Psychiatrie und eine Intensivstation neu aufgebaut.
Das Hospital hat ein Einzugsgebiet von knapp 100 000 Einwohnern. Es
wird uns ein Bauplan, sowie die Liste der geplanten medizintechnischen
Ausrüstung des Hospitals übergeben, wobei insbesondere auf diesem Sektor
von uns Hilfe gewünscht wird. Darüber hinaus benötigt Banes als Akuthilfe
ein Elektrokardiogramm (EKG), da im Umkreis von 100 km kein EKG mehr
verfügbar ist, seit das letzte Gerät vor kurzem defekt wurde. Die Besichtigung
des alten Krankenhauses gerät dann zu einer Art Alptraum. Ein Holzgebäude,
dunkel, zum Teil schimmlig und mit Blechdach. Das Krankenhaus ist zur
Zeit halb belegt. Die Besichtigung der Wäschekammer ergibt, daß noch
ca. 20 Bettlaken vorhanden sind. Im Apothekenschrank für das gesamte
Krankenhaus sind nur sehr wenige Medikamente vorhanden, überhaupt keine
Antibiotika. Aber trotz alledem wird überall möglichst steril gearbeitet.
Eine Laborausrüstung, wie ich sie aus den 60er Jahren kenne (Photometer,
Zentrifuge und Mikroskop) ist neben einem uralten Röntgengerät die einzige
medizintechnische Ausrüstung. Dieses Röntgengerät ist so defekt, das
teilweise Aufnahmen 3 bis 4 mal gemacht werden müssen, um eine
ordentliche Aufnahme zu bekommen. Die Krankensäle haben 20 Betten. Insgesamt
beschleicht mich überall dieses beklemmende Gefühl des Mangels, was
vom Kopf her mir schon vorher klar war. Aber es macht einen gewaltigen
Unterschied, wenn man die Situation selbst vor Ort mit Menschen aus
Fleisch und Blut erlebt. Dazu stellt sich eine aufkommende Angst ein,
daß wir als Gruppe überfordert werden, und die hier dringend notwendige
Hilfe nicht leisten können, da die Listen der medizinischen Notwendigkeiten
immer länger werden. Es wird unsererseits großer Anstrengungen bedürfen,
um der Provinz Holguin entscheidend helfen zu können.
Gerade
bei der Besichtigung des Hospitals in Banes überkommt mich aber auch
die Hochachtung für die kubanischen Kollegen, die unter Bedingungen
ihre Arbeit tun, mit denen viele deutsche Ärzte heillos überfordert
wären. Dabei haben sie es geschafft , Kinder- und Müttersterblichkeit
auf den niedrigsten Rang in der gesamten dritten Welt zu bringen.
Die Fahrt zurück von Banes durch die Zuckerrohrfelder nach
Guardalavaca zeigt uns die 2 Säulen der kubanischen Wirtschaft: Zuckerrohr
und Tourismus. Ein kühles Bad im Meer läßt die Lebensgeister wieder
erwachen. Der Gang durch die Anlagen der Hotels ist der Schritt durch
ein Tor in eine andere Welt. Eine Welt , die uns wohl vertraut ist,
die aber mit der kubanischen Realität nichts zu tun hat. Alles ist perfekt
gepflegt, für die Touristen ist alles vom Feinsten, einschließlich der
medizinischen Versorgung. Auf der anderen Seite ist es das Geld aus
dem Tourismus, das den Neubau von Kliniken wie der neuen Unfallklinik
in Holguin oder dem neuen Krankenhaus in Banes möglich macht. Trotz
dieses Wissens, ein schaler Nachgeschmack bleibt. Hotels sind halt doch
Touristenghettos.
Zurück in Holguin am Abend gibt es auf unsere
Einladung hin ein Abendessen mit all unseren kubanischen Freunden und
natürlich Live-Musik: Wunschkonzert der kubanischen Hitparade, schöne
Lieder, wie "Jolanda "oder "Obsession" und natürlich immer "Besame mucho",
"Lagrimas negras"," La negra Tomasa", "Chan chan".....; und sie kennen
sie alle, diese Lieder und sie werden auch laut mitgesungen und begleitet.
Ich lerne, daß es möglich ist, mit Messer und Gabel als Rhythmusinstrument
auf dem Tellerrand zu spielen. Bier und Rum, unsere ständigen Begleiter
machen die Runde. Es gab Congrie (Reis mit Bohnen), Hühnchen- oder Schweinefleisch
in Öl, gebackene Bananen und Gemüse. Der Abend findet seine Fortsetzung
im "Casa de la Trova", einer Musikkneipe, die das neue kubanische Lied
pflegt. Und hier ist der Rhythmus dann da. Der Rhythmus der Rumba, des
Cha-Cha-Cha, des Son und natürlich viele der alten bekannten und beliebten
Lieder. Als Ehrengäste des Hauses bekommen wir Tische in der ersten
Reihe und Klaus wird von den Ansagern als Empfänger des Hacha-Ordens
besonders gewürdigt. Der Rhythmus der Lieder hält noch lange in der
Nacht an. Überhaupt ist die Musik eins der großen Erlebnisse einer Kubareise.
Am Montagmorgen (24.5.) erfolgt eine ausführliche Besichtigung des Lenin-Hospitals in Holguin mit sämtlichen Abteilungen, die wir zu sehen wünschen. Auch dürfen wir eine Reihe Fotos machen. Wir können uns über den Verbleib unserer bisherigen Spenden informieren und besprechen mit den einzelnen Abteilungen Notwendigkeiten weiterer Hilfe. Als äußerst dringlich erweist sich die Lieferung von Ersatzbirnen für diverse Lichtquellen der Endoskopie, sowie ein Vaginalschallkopf für das Sonoline SL 2 der Firma Siemens. Aber auch große Kühlschränke für die Apotheke, onkologische Medikamente, sowie Bettgurte zum Fixieren der Patienten werden dringlich gebraucht- und immer wieder so einfache Dinge wie Bettlaken, Bettzeug, Handtücher, Hygieneartikel. Selbst Monatsbinden, erklärt uns Patricia, sind praktisch nicht zu bekommen und das sei nicht immer einfach für die Frauen im Lande.
Das Mittagessen wird vom ICAP ausgerichtet mit einem ausgesprochen leckeren typisch kubanischen Schweinebraten, zubereitet mit Knoblauch. Voller Stolz berichtet uns dabei Roberto, daß Dank unserer guten und erfolgreichen Zusammenarbeit und anläßlich der jetzigen HCH-Visite das ICAP in der Provinz eine Aufwertung durch den Provinzgouverneur erfahren habe und bereits in 2 Wochen ein neues größeres Gebäude beziehen könne mit ausreichend großen Büro- und Lagerräumen und auch der Möglichkeit für Gästezimmer in der ersten Etage. Büromaterial jeder Art wird hier dringend gebraucht, Roberto schreibt auf dem einzigen Notizblock, der vorhanden ist.
Am Nachmittag haben wir ein Gespräch in der medizinischen Hochschule Holguin mit dem stellvertretenden Dekan, gleichzeitig Professor für Anatomie und Naturheilkunde und dem Sekretär für internationale Angelegenheiten. Wir informieren uns über die Möglichkeiten für Ausländer, in Kuba zu studieren oder auch an Kursen teilzunehmen, Einzelheiten können gerne bei uns erfragt werden.
Am Dienstag (25.5) morgen starten wir um 05:00 Uhr früh 200 km über
Land nach Moa. Moa ist eine Industriestadt, in der es 4 Fabriken
für Nickel und Chrom gibt. Die Stadt hat 70 000 Einwohner und 2 Krankenhäuser,
eine Kinderklinik und ein Allgemeinkrankenhaus. Nach einem Empfang im
Rathaus besichtigen wir mit der Bürgermeisterin das 30 Jahre alte Allgemeinkrankenhauses
mit 400 Betten. Es geht wieder zu wie bei einem Staatsempfang.
Die gesamte Krankenhausdirektion ist bei unserer Ankunft am Eingang
vollständig versammelt und führt uns durch das ansprechende Gebäude.
Hier werden auch Dialysegeräte von uns eingesetzt werden. Als besondere
Wünsche werden genannt: ein Wasseraufbereitungsgerät für
die Dialysegeräte und ein neues Blutgasanalysegerät. Es handelt
sich um das älteste Blutgasanalysegerät, das ich in meinem Leben gesehen
habe, und für das es mit Sicherheit keinerlei Ersatzteile mehr gibt.
Auch hier ist ein Ultraschall Siemens SL1 vorhanden, zu dem ein Vaginalschallkopf
fehlt.
Die Besichtigung der Kinderklinik mit 85 Betten, davon 5
Intensivbetten, ergibt auch hier einen recht guten baulichen Zustand,
aber einen Mangel insbesondere an medizintechnischer Ausrüstung der
Intensivstation. So werden dringend gebraucht: Kinderlaryngoskope,
2-3 Überwachungsmonitore für die Intensivstation und ein weiteres Beatmungsgerät
für Kinder. Auch hier befindet sich ein uraltes Blutgasanalysegerät:
wie dieses Gerät auch nur noch halbwegs zutreffende Werte liefert,
ist mir bis heute ein Rätsel: die Erneuerung ist dringend notwendig.
Ein solches Gerät ist unerläßlich, wenn ein Patient auf der Intensivstation
künstlich beatmet werden muß.
Anschließend werden wir in einem Touristenhotel
mit schöner Aussicht auf die Stadt und die Küste zum Mittagessen eingeladen.
Und wieder spielt ein Trio die bekannten kubanischen Lieder auf seine
ureigene Art mit viel Gefühl, fetzigen Gitarrensoli und Gesang.
Nach
der Besichtigung der Nickelfabrik Ernesto Ché Guevara und einem Treffen
mit afrikanischen Stipendiaten (sie studieren kostenlos an der Bergwerkshochschule
in MOA) treten wir bei tropischen Regenfällen und Überflutungen die
Rückfahrt an, den Terminteufel im Nacken. Aber wir haben auch einen
"Teufelsfahrer", Details seien hier lieber verschwiegen. So schaffen
wir es gerade noch, uns umzuziehen und erscheinen auf die Minute pünktlich
zur nächsten Verabredung, einem weiteren Höhepunkt der Reise:
Der Gesundheitsminister hat uns ins beste Restaurant Holguins, dem "Polynesio",
hoch über den Dächern der Stadt, eingeladen. Die vorhandenen freundschaftlichen
Kontakte, insbesondere zu Roberto vom ICAP, der Chefärztin der Kinderklinik,
sowie zum Chefarzt der neuen Unfallklinik, werden gefestigt und
intensiviert.
Am Mittwoch, unserem letzten Tag, besichtigen wir die Kinderklinik
von Holguin, die mit 610 Betten die größte Kinderklinik ganz Kubas
ist. Sie wird geführt von Frau Dr. Deysi Lorenzo Philipe, die uns herzlichst
an der Spitze ihrer gesamten Klinikleitung begrüßt. Dieses Krankenhaus
macht einen hervorragend geführten Eindruck in allen Sektoren, die wir
besichtigen. Eine ausgesprochene Liebe zum Detail ist erkennbar bei
allem materiellen Mangel. Bezeichnend dabei ist die Einstellung der
Chefärztin, die in ihr Dienstzimmer erst dann eine Klimaanlage einbauen
ließ, als alle Krankenzimmer mit Klimaanlagen versorgt waren. Die videoendoscopische
OP-Einheit, die wir überbringen, löst eine große Freude aus. Sie ist
die zweite Anlage in diesem Land, die andere gibt es in
Havanna. Die Kinderklinik in Holguin soll so entwickelt werden, daß
Reisen nach Havanna überflüssig werden, d. h. die Kinderklinik soll
mit allen diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten versehen
werden. Trotz aller ökonomischen Schwierigkeiten gelang es, die Kindersterblichkeit
im Jahr 1998 auf das geringste Niveau der Geschichte zu drücken. Dann
besichtigen wir die Onkologieabteilung mit 29 Betten. Die Kinder, die
dort 6 bis 9 Monate stationär bleiben müssen (z. B. mit Leukämie), haben
keinerlei Unterhaltungsangebote. Von den vorhandenen 3 Fernsehern sind
2 defekt, Spielzeug fehlt völlig. Dem sollte von uns eigentlich schnell
abgeholfen werden können. Hauptwunsch der Kinderklinik ist ein Ultraschallgerät,
möglichst mit Echokardiographiezusatz und Doppler. Darüber hinaus werden
uns von mehreren Abteilungen Wunschlisten übergeben.
Der Empfang
ist sehr herzlich, sehr persönlich und aufmerksam. Als Geschenk erhalten
wir ein kleines liebevoll gestaltetes selbstproduziertes Faltblatt
mit der Begrüßung "Bienvenidos amigos Humanitäre Cuba Hilfe", mit einer
persönlichen Widmung und der abschließenden Versicherung "Siempre amigos".
Anschließend werden wir von Reinaldo und Roberto zu einem offiziellen Mittagessen chauffiert, zu dem der Chef des neuen Klinikums eingeladen hat. Es wird für jeden eine Schweinshaxe serviert, die in Deutschland für 3 Personen reichen würde. Wir kämpfen uns tapfer durch. Dazu die drei Gläser auf dem gedeckten Tisch: das große für Wasser (Extraservice!),das mittlere für Bier und das nur wenig kleinere für Rum. Kaum sitzen wir, steht auch schon die offene Bierflasche vor mir, das Einschenken vom Rum in dieser Mittagshitze kann ich gerade noch verhindern.
Trotz sich langsam einstellender Ermüdungserscheinungen nehmen wir dann noch unseren letzten Termin der Reise im Circulo Pelusin wahr, einer Kindertagesstätte für schwerhörige und geistig behinderte Kinder. Hier hatten wir auch 500 Dollar für die Renovierung des Gebäudes, neue Möbel, Hygieneartikel etc. zur Verfügung gestellt. Einiges ist bereits in Angriff genommen worden. Auch eine von uns gespendete Gefriertruhe und einen Kühlschrank, auf den die Betreuer sehr stolz sind, finden wir in der Küche wieder. Wieder werden wir überreichlich mit café cubano, Saft, Bier und belegten Broten bewirtet, die wir einfach nicht mehr schaffen.
Insgesamt gesehen bin ich heute noch begeistert über die Herzlichkeit und Freundlichkeit, mit der wir überall aufgenommen und bewirtet wurden. Die Medizin hat in Kuba ein erstaunlich hohes Niveau, was die personellen Kapazitäten betrifft. Mangel an Ärzten, Schwestern oder Pflegern gibt es nicht und es ist bewundernswert, wie die kubanischen Kollegen mit den materiellen Notlagen immer wieder durch Improvisation fertig werden, um ihre Patienten optimal zu versorgen.
Im Vergleich zu vielen anderen Ländern Lateinamerikas sehe ich auf
Kuba keine Slums, ich sehe auch auf dem Lande überall Elektrizität
und überwiegend Steinhäuser ( deswegen und wegen guter Schutz- u. Evakuierungspläne
hat auch der Hurrikan "Mitch", der Zentralamerika verwüstete und viele
Tote kostete, in Kuba neben zerstörten Feldern nur 6 Tote gekostet)
.Ich sehe ein flächendeckend organisiertes Gesundheitswesen, in dem
an entscheidender Stelle oft Ärzte und Ärztinnen sitzen mit großem Engagement
bei durchschnittlich 15-30 $ Monatsverdienst.
Die Arbeit der Kubahilfe
ist nötiger denn je. Durch die Ehrung der Organisation in Form ihres
Vorsitzenden Klaus Piel durch die Provinzregierung mit der höchsten
zu vergebenden Auszeichnung wird die Arbeit in Kuba wesentlich erleichtert.
Patrizia ist als unsere offizielle Repräsentantin anerkannt, zusammen
mit Roberto vom ICAP und Alfredo, dem Gesundheitsminister, dürfte es
in Zukunft von kubanischer Seite her keine größeren Probleme bürokratischer
Natur mehr geben.
Für die weitere Arbeit der Kubahilfe sehe ich als Ergebnis dieser
Reise folgende Prioritäten:
1. Weiter so wie bisher.
2. Verstärkung
der Bemühungen um Antibiotika (Cephalosporine und Chinolone).
3.
Schwerpunkt der Unterstützung beim Neubau des Hospitals in Banes.
4. Schwerpunkt der Unterstützung beim Aufbau einer EDV für das Gesundheitswesen.
5. Schwerpunkt der Unterstützung beim Pediatrico in Holguin.
6. Hilfe beim Aufbau des neuen Klinikums, unter Umständen
auch Einkaufshilfe.
7. Jede Menge Bettwäsche und Büromaterial.
8. Ein Kleinbus für das ICAP, um dem chronischen Transportproblem
entgegen zu wirken.
9. Evtl. Organisation von Austauschprogrammen.
10. 1-2 Notarzt/Rettungswagen.
Kuba ist eine andere Welt. Kuba ist faszinierend durch seine Menschen,
durch seine Musik. Kuba hat im Gesundheitswesen im Vergleich zu vielen
anderen Ländern der dritten Welt extrem viel erreicht, ich kenne keinen
Staat, der mehr erreicht hätte.
Das Positivste von allem: Ich habe
vor Ort gesehen, daß unsere Hilfe da ankommt, wo sie hingehört und die
Kubaner wissen diese Hilfe zu schätzen, nicht nur wegen des materiellen
Wertes der Hilfe, sondern auch als Ausdruck dessen, daß
Kuba in der Welt Freunde hat.
Hasta la proxima vez!
Dr. med. Herbert Querfurt
PS. Nach unserer Rückkehr erfahre ich, daß Fidel die " Universidad iberoamerica" gegründet hat. Dort sollen 10000 junge Menschen aus den ländlichen Gebieten Zentralamerikas zu Ärzten ausgebildet werden. Die Ausbildung erfolgt kostenlos, es besteht für die jungen Menschen nur die Verpflichtungen in den ländlichen Gebieten ihres Staats zu arbeiten.